Gott, mein Herz ist bereit, ich will singen und spielen. Wach auf, meine Seele!
Psalm 108,2
In den letzten Tagen las ich einen Zeitungsartikel, der sich darum drehte, wie im Moment die Situation von Menschen in unserem Land wahrgenommen wird. Es wurde schnell deutlich, dass es einen großen Unterschied zwischen der Wahrnehmung und der Wirklichkeit gab. Oftmals erleben wir heute die Situation als sehr bedrückend und haben den Eindruck, dass es steil bergab geht. Der Artikel aber rief noch einmal in Erinnerung, dass wir weiterhin in einem der sichersten Länder der Welt leben. Im Moment arbeiten so viele Menschen wie noch nie in unserem Land. Unsere Demokratie ist eine der lebendigsten und widerstandsfähigsten in der Welt. Eigentlich könnten wir fröhlich und glücklich sein. Eigentlich.
Der Psalmbeter fordert seine eigene Seele auf, aufzuwachen. Er will sie wecken, indem er singt und Musik macht. Vielleicht brauchen auch unsere Seelen solch einen Weckruf.
Meine Gedanken schwenken um. Was wäre, wenn ich einmal danach suche, was alles gut in meinem Leben ist, anstatt nur auf das Negative zu blicken? Ich spüre sofort, dass sich dann nicht nur der Blickwinkel verändert. Ich sehe meine Familie, meine uralten Eltern, meine Freunde, meinen Beruf. Ich sehe eine lebendige Gemeinde, in der ich mit vielen Menschen verbunden bin. Ich sehe die Arbeit als Lehrer an der Kyburg Grundschule, die mir so viel Freude macht. Und ich merke noch einmal wie reich ich eigentlich bin und wie gut es mir geht.
Und was siehst du, sehen Sie? Ich kann mir vorstellen, dass auch dort viel Schönes gesehen werden kann. Auch Ihr und dein Leben ist ein reiches und erfülltes Leben. Ist das nicht ein Grund, Gott zu loben, zu singen und zu spielen – mit wacher und fröhlicher Seele!
Guter Vater!
Danke für den Reichtum des Lebens, mit dem du mich beschenkst. Amen.
Vorgänge am See (Frieder Stöckle)
Mitunter, vor Tag, verlasse ich mein Bett, schleiche barfuß leise zur Tür und mach mich auf zum See. Auf der Treppe begegne ich der Zeitung:, ach (hunderttausend Arbeitslose zu erwarten', Sommerschlussverkauf! bei Karstadt purzeln die Preise', ,der Terror nimmt kein Ende'. Die Haustüre hinter mir zu.
Dunkel sind die Häuserumrisse der Vorstadt und ungenau. Silbern schimmern Schneckenspuren am Zaun. Tautropfen ziehen am Spinnennetz. Meine nackten Füße tatschen auf dem Stein.
Am Bahndamm entlang. Manchmal auf den Schienenschwellen aus Eichenholz. Groß sind die Trockenrisse im Holz. Zwischen den Schwellen liegt Schotter. Beim Bahnwärterhäuschen biege ich ab, quer über die taunasse Wiese. Meine Zehen rechen Kleeblüten, Hahnenfuß und Wiesenschaumkraut.
Mitten in der Wiese bleibe ich stehen. Noch hundert Meter bis zum See. Ich spanne einen Grashalm zwischen meine gestreckt aneinandergepressten Daumen. Die Hände hohlzueinander bilden den Resonanzraum. Und jetzt blase ich stark in den Grashalm: „Kihuiooo, kihuiooo—." Ich horche. Dort drüben vom Schilf kommts zurück, kürzer und scharf: Kihui, kihui -. Das sind die Schilfhaubentaucher. Ich gehe vorsichtig weiter, stelze wie ein Storch zum Uferschilf, stehe schon im Wasser bis über die Knöchel, Patsch! Ein schwarzer Haubentaucher klatscht aus dem Schilf, die Flügel dicht über dem Wasser. „Kihuioo —" Platsch! Platsch! kihui, kihui, platsch, platsch, klatsch!
Vor mir, hinten am Weidenbusch, links bei der Bachmündung und weiter draußen am offenen Wasser: überall schreckt es im dämmrigen Schilf. „Ki- uioooo... Kihuiooo..." Bis über die Knie stehe ich im Wasser. Der Schilfwald umgibt mich. Jetzt schrecken schnarrend die Enten und Wasserläufer. Frösche fangen an, Bewegung ist im Schilf. Der See ist in Aufruhr. Damit bin ich zufrieden.
Ich wate rückwärts, der Seetang und Froschlaich hängt mir bis über die Knie an den Beinen. „Kihuiooo", nochmal grell zurück zum See, dann schnell über die Wiese. Durch Hahnenfuß, Wiesenschaumkraut und Kleeblüten am Bahndamm entlang zu der Vorstadt. Die Häuser werden deutlicher. Am Spinnennetz ziehen Tautropfen. Die Schneckenspur am Zaun schimmert silbern. Auf der Treppe begegne ich wieder der Zeitung. Zurück ins Bett. Später, wenn meine Mutter mich weckt wird sie die Hahnenfüße im Bett finden. „Hast du schon wieder die Viecher am See gescheucht?" wird sie sagen, oder „gab's wieder Vorgänge am See?"
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause