Sieh nach deinen Brüdern, ob’s ihnen gut geht.
1. Samuel 17,18
David und Goliath. Wer kennt die Geschichte nicht! Der Riese wird von einem kleinen Jungen besiegt. Eine Steinschleuder siegt gegen einen mächtigen Panzer des Kämpfers. David wird von seinem Vater in die Schlacht gegen die Philister geschickt, damit er seinen Brüdern Essen bringt und sieht, wie es ihnen geht. Denn diese Brüder kämpfen gegen die Philister.
(Die Philisterstädte lagen teilweise im heutigen Gazastreifen. Sie gab es schon vor der Besiedlung durch die israelitischen Stämme. Man wundert sich, wie alt der jetzige Konflikt ist.)
Immer wieder geschieht der gleiche Fehler. Menschen schauen einfach zu eng. Der Vater sorgt sich um seine Söhne. Das ist mehr als verständlich. Und dennoch sind nicht nur seine Söhne in Gefahr, sondern auch die anderen Kämpfer, seien es Philister oder Israeliten. Aber durch den engen Blick sieht der Vater nur auf seine Kinder.
Verengen wir unseren Blick nicht auch oft? Die bösen Russen gegen die guten Ukrainer? Die bösen AFD-Wähler gegen die guten Grünwähler? Die guten Christen gegen die bösen Atheisten? Die guten Deutschen gegen die bösen Asylanten?
Schwarz-Weiß-Denken macht das Leben einfacher. Schubladendenken auch. Aber es macht es nicht besser. Zum einen verstärken sich Vorurteile. Und zum anderen verliere ich den Blick dafür, dass auch andere Menschen Menschen sind.
Das aber heißt noch lange nicht, alles zu tolerieren oder gut zu heißen. Nicht alle AFD-Wähler zu verdammen, kann trotzdem vereinbar sein damit, rassistisches Denken scharf zu verurteilen.
Guter Vater!
Hilf mir weiterhin den Menschen zu sehen und nicht nur den Gegner. Amen.
Eine Geschichte aus dem Praxisalltag
Ich möchte Ihnen hierzu eine kleine Geschichte aus meinem Praxisalltag erzählen.
Einst sucht mich ein 44 Jahre alter Mann auf, um sich in seinen persönlichen Belangen von mir coachen zu lassen. Ich nenne ihn hier zum Schutze seiner Persönlichkeit Rudolph.
Rudolph hatte oft Schwierigkeiten in seinem beruflichen Umfeld. Aber auch seine Partnerschaft litt unter seinen Verhaltensweisen.
Er selbst kam irgendwann zu dem Entschluss, dass er sich doch mal hinterfragen sollte. „Vielleicht liegt es ja auch an mir“; war damals eine seiner ersten Aussagen.
In einer der Sitzungen erzählte er mir die folgende Geschichte:
„Wissen Sie Herr Lahme, an manchen Tagen geht mir in meiner Firma einer ganz mächtig auf den Zeiger. Da ist so´n Kollege wenn den schon über das Firmengelände rumschlurfen sehe könnte ich kotzen. Das nervt mich so sehr, das können sie sich nicht vorstellen.“
Ich fragte ihn;
„Rudolph, was ist das denn genau was Sie an diesem Kollegen so ankotzt?“
„Ach, der hat so einen ollen grauen Kittel an und schleift eine Eisenstange hinter sich her. Wenn sie den sehen würden… Dem kann man beim Gehen die Schuhe besohlen.“
„Was für eine Funktion hat denn der Mann, fragte ich Rudolph.“
„Das ist unser Hausmeister!“
„Okay! Der Hausmeister. Was für eine Eisenstange schleift denn der hinter sich her?“
„Ja, Sie müssen wissen, ich arbeite ja in einem Chemiewerk. Dort ist das gesamte Gelände gesichert für den Fall das Chemikalien auslaufen, darf halt nichts ins Grundwasser gelangen. Dafür gibt es spezielle Kanaldeckel die bei Regen geöffnet sein müssen und im Schadenfall verschlossen sein müssen“
„Ah, ich verstehe. Rudolph, das bedeutet doch das dieser Mann eine ganz besondere wichtige Aufgabe in ihrem Unternehmen hat, oder?“
„Ja, das mag sein, trotzdem nervt er mich!“
Wir sind in dieser Sitzung etwas tiefer in das Thema eingestiegen. An der Stelle würde der gesamte Gesprächsverlauf aber etwas zu weit führen.
Unter anderem hatte ich Rudolph gefragt, an wen oder was Ihn dieser Hausmeister erinnert.
Im Laufe der Sitzung gelangten wir an den Punkt, das Rudolph von seinem Vater gelernt hatte, dass nur durch Anstrengung jemand erfolgreich sein kann. Wer rastet der rostet und du musst Leistung zeigen, sonst bist du nichts wert.
Diese Leitsätze lebte Rudolph. Und zwar, umso mehr, wie er Menschen sah, die Leistung auf ihre eigene Art und Weise lebten.
So auch dieser Hausmeister. Die Wichtigkeit des Tuns wurde von Rudolph ausgeblendet. Nur das was in seinem Kopf an Bildern bestand, war seine Realität. Und so urteilte und verurteilte er alle Menschen, die es mit Leistung nicht so genau nahmen wie Rudolph bei sich selbst.
Als Rudolph sich die Erlaubnis gab, das andere Menschen eigenständige Individuen sind und jeder Mensch anders ist, konnte er auch annehmen, dass der Hausmeister eine wichtige Person ist.
Darüber hinaus lernte Rudolph auch, anstatt Menschen oberflächlich zu bewerten, nur noch das aufzunehmen was er wahrnahm.
In dem Fall des Hausmeisters war es dann so, dass Rudolph sich sagte;
Da kommt unser Hausmeister. Er hat eine Eisenstange dabei mit der er die Kanalisation unseres Unternehmens absichert. Heute weiß ich, dass er damit eine wichtige Aufgabe im Unternehmen hat. Er geht auf seine eigene Art über den Hof und hat einen grauen Arbeitskittel an.
Je mehr Rudolph sich mit dieser neuen Art der Wahrnehmung auseinander setzte, umso mehr stellte sich auch eine Verbesserung seines Wohlbefindens ein.
www. michael-lahme.de/schubladendenken-und-seine-folgen