Da sprach der Jüngling zu ihm: Das habe ich alles gehalten; was fehlt mir noch?
Matthäus 19,20
Ein reicher junger Mann kommt zu Jesus mit der Frage: „Was muss ich Gutes tun, um ewig zu leben?“ Jesus verweist ihn auf die Einhaltung der Gebote. Der junge Mann sagt: „Das habe ich alles getan. Fehlt noch was?“ Jesus fordert ihn auf, allen Besitz zu verkaufen, den Erlös den Armen zu schenken und ihm, Jesus, nachzufolgen. Enttäuscht wendet sich der reiche junge Mann ab, denn er will sich nicht von seinem Reichtum trennen. Wie schade. Der junge Mann nutzt die Chance nicht, die sich ihm bietet. Anstelle mit Jesus zu ziehen, kann er sich nicht von seinem Besitz trennen.
Haben wir auch schon Chancen in unserem Leben verpasst? Gibt es auch bei uns etwas, das uns mehr bindet als die Nachfolge Jesu? Gar nicht so einfache Fragen. Bestimmt haben wir alle schon Chancen verpasst, es geht mir im Moment eher um die großen verpassten Chancen. Weggabelungen, an denen sich das weitere Leben ausrichtet und entscheidet.
Die Tragik des jungen Mannes ist, dass er Jesus dieses eine Mal begegnet. Ganz konkret, ganz persönlich. Da haben wir einen gewaltigen Vorteil. Denn wir haben nicht nur einmal die Chance, uns zu entscheiden. Wir haben ganz oft die Chance, Jesus zu begegnen und unser Leben neu auszurichten.
Und doch kann und sollte uns die Geschichte nachdenklich machen. Was hält mich gefangen? Was ist mir das Wichtigste? Wer ist mir das Wichtigste? Ich merke für mich: Geld und Besitz sind es nicht. Aber es ist ein erfülltes Leben mit Gott und mit meiner Familie und den Freunden, mit den Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind. Diese vielfältige Gemeinschaft mit Gott dabei ist mir das Wichtigste. Und Ihnen? Und dir?
Guter Vater!
Danke, dass ich mich immer wieder neu ausrichten kann.
Amen.
Iwans Ecke (Elizabeth Starr Hill)
Iwan ging langsam von der Schule nach Hause. Im Schaufenster eines Zoo-Geschäftes sah er einen Kanarienvogel, der zu ihm herübersang. „Der Kanarienvogel hat einen Käfig für sich allein", dachte Iwan. „Ich möchte auch ein Plätzchen für mich allein haben." Er ging weiter. Eine leuchtend rosa Blume in einem Blumentopf auf einem Fensterbrett kam ihm in den Blick. „Die Blume hat einen eigenen Topf," dachte er. „Und ich, ich, ich brauche einen Platz für mich." Er ging weiter, bis er an eine Kreuzung kam. Er wartete an einem Zeitungsstand auf grünes Licht in der Ampel. „Der Zeitungsmann hat einen Platz für sich. Und ich, ich brauche einen Platz für mich."
Er ging über die Straße und steuerte auf den Häuserblock zu, in dem er wohnte. Er trottete vier steile Treppen hinauf zu den zwei Zimmern, wo er, seine Eltern und die Geschwister zu Hause waren. Bald würden seine drei Schwestern und seine zwei Brüder heimkommen. Dann seine Mutter und schließlich sein Vater.
Eine ganze Menge für eine Familie, dachte Iwan. Und keine Stelle, die mir alleine gehört. Iwan trug den Wohnungsschlüssel an einem Bindfaden um den Hals, so konnte er die Tür öffnen. Immer war er der erste, der zu Hause ankam. Aber heute flog die Tür auf, bevor er sie angefasst hatte. Überraschung! Seine Mutter stand lachend in der Türöffnung. Iwan ließ sich in die Arme nehmen und drückte seine Mutter tüchtig. „Mama, weißt du, was ich mir schon lange sehr, sehr wünsche?" brach es aus ihm heraus.
„Erzähl mir", lächelte seine Mutter.
Iwan erzählte, daß der Kanarienvogel einen eigenen Käfig habe. Er erzählte, daß die Blume einen eigenen Topf habe. Er erzählte, daß der Zeitungsmann einen eigenen Stand habe. Er sagte schließlich: „Und ich möchte einen Platz für mich alleine haben."
Seine Mutter dachte lange nach. Zuerst schien es, als ob sie keinen Rat wüsste.
Aber dann leuchtete ihr Gesicht auf. „Ja, natürlich!" rief sie. „Es kommt genau aus. Wir sind acht. Das heißt, daß jeder von uns eine Ecke haben kann!"
Iwan sprang auf die Füße und klatschte in die Hände. „Kann ich mir meine aussuchen?"
„Ja," nickte die Mutter, „fang an, du hast noch die Auswahl!" Iwan rannte in jede Ecke der beiden Zimmer. Eine Ecke hatte ein hübsches Restchen von einem Läufer. Einige Ecken hatten gar nichts Besonderes. Eine hatte einen interessanten Riss in der Wand. Aber die Ecke, die Iwan für sich alleine haben wollte, hatte ein kleines Fenster und ein Stück blanken Fußboden. „Die nehme ich", sagte Iwan glücklich, „dies ist meine Ecke!"
An diesem Abend achtete Iwan überhaupt nicht mehr auf den Rest der Familie. Er saß alleine und zufrieden auf dem Fußboden in seiner Ecke. Sein kleiner Bruder Adam fragte ihn: „Warum willst du eine Ecke für dich alleine haben, Iwan?" Iwan dachte eine Minute lang nach: „Ich möchte einsam sein." - Adam schlich auf Zehenspitzen weg ... Sobald Iwan am nächsten Morgen erwacht war, lief er zu seiner Ecke. Das Stückchen des blanken Fußbodens blitzte so blank wie gestern. Es war noch immer lustig, aus dem Fenster zu schauen. Aber Iwan spürte, dass seine Ecke noch etwas brauchte. Was war es nur? Er starrte auf die kahlen Wände. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Ich weiß es! Ich brauche ein Bild!
Am nächsten Morgen in der Schule malte Iwan ein Bild vom Meer. Er malte hohe Wellen und ein grünes Schiff.
Nach der Schule konnte Iwan es kaum abwarten, nach Hause zu kommen. Er rannte an dem Kanarienvogel-Geschäft vorbei. „Kanarienvogel", rief er über seine Schulter, „ich habe jetzt einen Platz für mich allein! Ich hänge dort ein Bild auf!"
Hoppla hopp, da kam er an dem Fensterbrett mit dem Blumentopf vorbei. „Du, hör mal, alte rosa Blume", sagte er, „ich habe einen Platz für mich allein, und dafür habe ich mir ein Bild gemalt!"
Er stolperte und blieb an der Ecke stehen. Er wartete, bis die Ampel grün wurde. Er redete den Mann im Zeitungsstand an: „Raten Sie mal!" „Was denn, kleiner Mann?"
„Ich hänge dieses Bild in einer Ecke auf, die gehört mir ganz alleine!" Und er hüpfte und rannte und flog fast den Rest des Weges. Er klebte sein Bild an die Wand neben das Fenster in seiner Ecke.
Adam war mit der ältesten Schwester Gloria nach Hause gekommen. Sie holte ihn nach der Schule immer vom Kindergarten ab. Adams Augen strahlten, als er das Bild sah. „Das ist aber mächtig schön, Iwan!" In dieser Nacht schlief Iwan schlecht. Er lag wach im Bett und dachte über seine Ecke nach. Sie hatte einen hübschen Fußboden, ein schönes Fenster und ein wunderbares Bild. Aber war das genug? Nein, entschied er sich schließlich. Sie braucht noch etwas. Aber was? Ihm fiel die rosa Blume in ihrem Blumentopf ein. Er dachte: „Das ist es: Ich muss eine Pflanze für mich allein haben in meiner eigenen Ecke."
Am Sonnabend ging Iwan auf den Spielplatz. Er hatte seinen Zahnputzbecher und einen Löffel mit. Der Zementboden des Spielplatzes hatte Risse. Gras und Unkraut wuchsen daraus hervor. Iwan fand eine Unkrautblume, die hatte eine große Blüte mit Spitzenrand. Er grub sie mit der Wurzel aus. Er pflanzte sie in seinen Zahnputzbecher. Dann brachte er sie heim und stellte sie auf das Fensterbrett.
Aber auch jetzt noch schien ihm etwas in seiner Ecke zu fehlen. Er wusste nicht, was. Ich habe keine Möbel, wurde ihm schließlich klar. Warum habe ich nicht früher daran gedacht? Iwan flitzte fort zum Supermarkt. Er bat Herrn Ming um zwei alte Apfelsinenkisten.
In seiner Ecke stellte Iwan die eine Kiste hochkam. Das war wie ein hoher Tisch. Die andere Kiste drehte er um, das gab eine Bank. Er setzte sich auf die Bank. So, jetzt hatte er alles, was man sich wünschen konnte. Und doch. - Wie komme ich nur darauf, dass immer noch etwas fehlt? Iwan zerbrach sich den Kopf. Plötzlich fiel ihm der Kanarienvogel ein. Eine großartige Idee kam ihm. Ich weiß! Ich brauche ein Tier, für das ich sorgen kann. Ein Tierchen für mich allein, in meiner Ecke. Und er lief zum Zoo-Geschäft. Er schaute sich den Kanarienvogel im Schaufenster an. Er ging zu den Fischen. Er ging zu dem Becken mit den Schildkröten. Auf einem Schild darüber las er: „Sonderangebot! Einmalige Gelegenheit! Schildkröte mit Glas nur 50 Cents!" Neben dem Becken stand eine Reihe kleiner Glasgefäße.
Iwan blickte in das Becken. Zehn oder zwölf winzige grüne Schildkrötenkinder schwammen und krabbelten alle über- und durcheinander. Eine kleine Schildkröte kletterte auf einen Stein in der Mitte des Wassers. Sie guckte Iwan an. Er musste lachen. Das musste die lustigste Schildkröte der Welt sein! Diese Schildkröte hatte den schlankesten Hals. Ihre Füße waren breit und plump. Ihre schwarzen Augen blitzten lustig. „Ja, mein Liebes", sagte Iwan zu der kleinen lustigen Schildkröte, „du bist das richtige Tierchen für mich."
Iwans Herz schlug schnell und laut. Er fragte den Mann in dem Zoo-Geschäft: „Haben Sie vielleicht etwas für einen Jungen zu tun? Ich würde schrecklich gern Geld verdienen und mir dann eine kleine Schildkröte kaufen!" „Tut mir leid, mein Sohn, ich brauche niemand zum Helfen. Versuch es nebenan."
Iwan ging über die Straße. Er wanderte von Geschäft zu Geschäft und fragte nach Arbeit. Er hatte kein Glück. Vielleicht können mir einige alte Frauen etwas geben, wenn ich ihnen ihre Einkaufstasche nach Hause trage, dachte Iwan. Das war die richtige Idee.
Es dauerte über eine Woche, bis Iwan das Geld zusammen hatte. Als er das letzte Zehn-Cent-Stück in der Hand hielt, rannte er mit Höchstgeschwindigkeit zum Zoo-Geschäft. Er schüttete seine Cents auf den Ladentisch und sagte stolz: „Hier, ich habe Geld verdient. Ich möchte mir eine Schildkröte kaufen." Der Zoo-Händler zählte die Geldstücke. „Stimmt genau, mein Sohn, such dir eine aus!"
Iwan blickte in das Becken. Seine Augen wanderten von einem grünen Panzer zum anderen. Plötzlich sah er einen schlanken Hals sich aus dem Wasser herausstrecken. Eine Schildkröte schob sich auf den Stein hoch und fiel auf den Rücken.
„Diese da!" Iwan holte die Schildkröte heraus. „Das ist meine!" Iwan trug seine Schildkröte in einem kleinen Glasgefäß nach Hause. Er stellte das Glas auf die hochgestellte Apfelsinenkiste.
Adam war schon aus dem Kindergarten zurück. Er fragte aufgeregt: „Was hast du jetzt, Iwan?" „Mein eigenes Tier", sagte Iwan. „Und damit ich dafür sorgen kann, habe ich es in meiner Ecke."
Adam sah sich die Schildkröte an. Sie blinzelte ihm vergnügt zu. Adam wollte sie von nahem sehen. Aber er wusste, in Iwans Ecke durfte er nicht. „Iwan, glaubst du, dass ich auch mal ein Tier für mich ganz allein haben kann?" fragte Adam.
„Sicher. Wenn du sehr, sehr viel älter bist." Adam ging traurig fort. Jetzt besaß Iwan viele Dinge.
Er hatte einen Platz ganz für sich allein. Er konnte dort einsam sein. Er konnte Zeit verschwenden, wenn er wollte. Er konnte Ruhe und Frieden genießen. Er hatte ein schönes Bild zum Ansehen. Er hatte eine Bank für sich zum Sitzen bei seinem eigenen Fenster. Seine Pflanze trieb und wurde groß. Das Beste von allem aber war sein Tierchen zum Liebhaben und Versorgen.
Iwan verbrachte fast alle freie Zeit in der Ecke. Aber - es war merkwürdig. Er war immer noch nicht glücklich. Ich brauche noch etwas, dachte Iwan. Aber was?
Er fragte seine Schwestern. Sie wussten es nicht. Er fragte seine Brüder. Sie wussten es nicht. Sein Vater war noch nicht zu Hause. Als seine Mutter nach Hause kam, sagte Iwan: „Mama, ich bin nicht glücklich in meiner Ecke. Was brauche ich bloß noch?" Die Mutter legte den Kopf zur Seite. Sie standen beide ein wenig von der Ecke entfernt. Iwans Ecke war wunderschön. Sie sahen es beide.
„Iwan", sagte die Mutter schließlich, „vielleicht solltest du eine Weile aus deiner Ecke herauskommen." „Warum?" fragte Iwan. „Nun", sagte die Mutter langsam, „nur seine eigene Ecke einzurichten, ist nicht genug." Sie lächelte. „Es mag sein, dass du jetzt aus deiner Ecke herausgehen und jemand anderem helfen musst."
Mutter ging ins andere Zimmer. Iwan saß allein auf seiner Bank und dachte nach. Adam kam. „Na, Iwan, genießt du Ruhe und Frieden?" „Nein!"
„Was machst du denn?"
„Ich habe vor, von Lucie die Buntstifte zu borgen." Iwan sagte es langsam. „Warum?"
„Um dir zu helfen, ein Bild zu malen - wenn du es willst. Ich möchte dir nämlich helfen, deine Ecke einzurichten. Sie soll so aussehen, wie du sie haben willst. Ich helfe dir, dass sie zu der besten, der hübschesten, der herrlichsten Ecke der ganzen Welt wird."
Freude strahlte über Adams Gesicht. Auch Iwan war glücklich. Sie liefen quer durch das Zimmer. Sie begannen mit der Arbeit an Adams Ecke.
Hier sind alte Andachten zu finden:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause