Ich will dich mit meinen Augen leiten.
Psalm 32,8
In einer anderen Übersetzung heißt es: „Ich will dich nicht aus den Augen lassen.“ Aber ich finde die Übersetzung von Martin Luther schöner, denn sie beinhaltet weit mehr als ein „nicht aus den Augen lassen“.
Ich will dich leiten heißt natürlich „Ich passe auf dich auf!“, „ich begleite dich“. Aber es steckt darin auch der Gedanke: Ich will dich leiten. Und ich verstehe dies als ein Stück begleiten, Orientierung geben, Lebenswege vorschlagen, führen. Und dies ist weit mehr als ein Aufpassen.
Ich denke automatisch an das Buch des Pfarrers Helmut Gollwitzer mit dem Titel „…und führen, wohin du nicht willst“. Es beschreibt den Lebensweg von Gollwitzer, der auch dadurch geprägt war, Wege im Krieg und der Gefangenschaft zu gehen, die man absolut nicht wollte.
Kennen wir das nicht auch, Lebenswege, die wir gar nicht wollten? Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie verzweifelt ich war als ich in der 10 Klasse sitzengeblieben war. Zwar war dies meiner Faulheit zuzuschreiben und doch brach für mich eine Welt zusammen. Erst lange im Nachhinein sah ich, wie gut mir diese Ehrenrunde getan hatte.
Zum Leben gehört es einfach dazu, sich intensiv Gedanken über den Lebensweg zu machen, Entscheidungen zu treffen. Aber es gehört vielleicht auch dazu, neue Wege zu akzeptieren, vor die ich gestellt werde. Und je mehr Vertrauen ich auf Gottes Führung habe, desto leichter lassen sich die neuen Wege annehmen. Ja, ich vertraue darauf, dass Gott für mich gute Wege ausgesucht hat. Manchmal verstehe ich sie nicht und sie sind schwere Wegstücke. Aber mein Vertrauen zu Gott ist groß. Er wird mir die Kraft geben, die ich für die neuen Wege brauche. Er leitet mich.
Guter Vater!
Führe du mich durch mein Leben. Amen.
Und führen wohin Du nicht willst (Dr. Thomas Dörken-Kucharz)
Und führen wohin Du nicht willst. So nannte der Kriegsheimkehrer und Pfarrer Helmut Gollwitzer seine Erinnerungen an Krieg und sowjetische Kriegsgefangenschaft. Dort in den Lagern und auf dem Weg hat er viel Schreckliches und manches Schöne erlebt.
Und führen wohin Du nicht willst. Gollwitzer wollte keinesfalls in die Gefangenschaft. Er war bei Kriegsende auch schon fast da, wo er hin wollte, nämlich nach Hause, mindestens hinter die Demarkationslinie zu den Amerikanern. Doch es sollte nicht sein. Er wurde in die sowjetische Gefangenschaft geführt, – dahin, wo er nicht hinwollte. Sein Buch erzählt von vielen Begegnungen mit Mitgefangenen, der zivilen Bevölkerung und den sowjetischen Soldaten und Aufsehern.
Zwei Dinge sind damals wie heute erstaunlich an seinen Erzählungen: Zum einen zeichnet Gollwitzer ein differenziertes Bild der Sowjets. Zum anderen verschweigt er die deutsche Schuld nicht. Weder die Judenvernichtung noch die Verbrechen der deutschen Soldaten im Osten. Als er 1951 seine Erinnerungen als Buch veröffentlichte, war die Welt schon mit einem Vorhang geteilt, der immer eiserner wurde. Es war Kalter Krieg. Und da gab es für viele nur schwarz und weiß. Da störten Kommunisten mit menschlichem Gesicht und wachen kulturellen Interessen das Bild. Gollwitzer erzählte aber unerschrocken, wie er es erlebt hatte. Sein Buch wurde ein Bestseller, Theodor Heuß, der damalige Bundespräsident, beschrieb es als ‚großes geschichtliches Dokument‘ – und Helmut Gollwitzer selbst wurde so etwas wie das evangelische Gewissen des Bonner Politikbetriebes. Das änderte sich später, als er gegen die Wiederaufrüstung und dann, in den 68er Jahren, für die Studenten eintrat.
Und führen wohin Du nicht willst. Schon als Jugendlicher war ich von diesem Buch und seinem Titel angetan. Natürlich kann man einfach sagen, die Sowjets haben Gollwitzer in die Gefangenschaft geführt. Der Titel meint aber dieses Führen viel tiefsinniger. Und das hat mich fasziniert und fasziniert mich noch immer: Dass Gollwitzer diese furchtbare Zeit, Krieg und Gefangenschaft mit tiefem Gottvertrauen durchlebt hat. Das gab ihm Rückgrat und Aufrichtigkeit, Unerschrockenheit und aufrechten Gang. Und manchmal wurde es für ihn gerade deshalb gefährlich. Von außen betrachtet war seine Gefangenschaft von 1945 bis 49 ein Riesenumweg nach Hause. Und doch spricht Gollwitzer von Führen. Von Gottes Führung. Er sieht auf Gott, nicht auf sich selbst. Auf Gottes Mitgehen, Leiten und Bewahren. Gollwitzer behauptet das nicht vollmundig einfach so, sondern er lebt danach. Sein Gottvertrauen scheint durch, in dem wie er erzählt. Stärken und Schwächen, Triumphe und Niederlagen. Gollwitzer maßt sich keine großen Erklärungen und Rechtfertigungen an. Er spricht nicht für andere. Er hat mit seinem Gott diese Zeit durchlebt. Sein Glaube und seine Hoffnung sind in diesen Jahren der Gefangenschaft nicht kleiner, sondern größer geworden. Auch das macht dieses Buch noch immer lesenswert. Erst recht, wenn man vor dem Hintergrund seines Gottvertrauens sein späteres politisches Engagement vor Augen hat: für eine gerechte Sozial- und Wirtschaftsordnung, für eine Welt ohne Massenvernichtungswaffen und Wettrüsten.
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