„Wolltest du für mich eifern? Ach dass doch das ganze Volk des HERRN Propheten wäre, dass der HERR seinen Geist über sie kommen ließe!“
4. Mose 11,29
In dieser Szene wird deutlich, wie unterschiedlich menschliche und göttliche Perspektiven sein können. Josua sorgt sich darum, dass andere plötzlich anfangen zu prophezeien – eine Aufgabe, die bisher Mose vorbehalten schien. Doch Mose selbst reagiert völlig anders: Er freut sich nicht nur über Gottes Wirken in anderen, sondern wünscht es sich für das ganze Volk.
Mose zeigt hier eine beeindruckende Demut. Er klammert sich nicht an seine Position oder seinen Einfluss. Für ihn ist wichtig, dass Gott wirkt – nicht durch wen Gott wirkt. Seine Worte sind ein Gegenentwurf zu Konkurrenz, Eifersucht und geistlichem Besitzdenken.
Was bedeutet das für uns? Gottes Geist ist nicht begrenzt. Wir dürfen uns freuen, wenn andere begabt werden, statt uns bedroht zu fühlen. Geistliches Leben ist kein Wettbewerb. Wahre Reife zeigt sich darin, Gottes Wirken in anderen zu feiern. Gott wünscht sich ein Volk voller Menschen, die von seinem Geist erfüllt sind. Nicht nur einige wenige, sondern viele.
Demut bedeutet Freiheit. Wer nicht um seine Rolle kämpfen muss, kann in Freude dienen. Vielleicht gibt es jemanden in deinem Umfeld, an dem Gottes Geist sichtbar arbeitet — jemand, der neue Schritte im Glauben geht, Gaben entdeckt oder Verantwortung übernimmt. Statt Vergleiche zu ziehen, kannst du heute bewusst danken: Danke dafür, dass Gott wirkt, wo er will.
Und vielleicht ist dieser Vers auch eine Einladung an dich selbst: Gottes Geist ist auch für dich da — nicht nur für „die Besonderen“, sondern für jeden, der sich ihm öffnet.
Guter Vater!
Komm mit deinem Geist auch zu mir. Amen.
„Der Funke“
Als der alte Pastor Elias an diesem Abend das Gemeindehaus abschloss, hörte er noch Licht und Stimmen aus dem kleinen Nebenraum. Er runzelte die Stirn. Eigentlich sollte längst niemand mehr da sein.
Er öffnete die Tür einen Spalt und sah Jana, eine der jüngeren Frauen aus der Gemeinde, mit einer kleinen Gruppe zusammensitzen. Kerzen brannten, Bibeln lagen offen. Und Jana – schüchterne, stille Jana – sprach gerade mit einer Sicherheit, die Elias überraschte.
„Ich glaube,“ sagte sie gerade, „dass Gott uns ruft, mutiger zu werden. Nicht nur zu warten, dass andere anfangen.“
Die anderen nickten. Einer hatte Tränen in den Augen.
Elias blieb stehen. Etwas in ihm zog sich zusammen — ein alter Reflex. Seit über dreißig Jahren war er derjenige, der die Bibel erklärte, der Gespräche leitete, der Funken entzündete. Sollte jetzt… jemand anderes das tun? Und dann auch noch Jana? Er spürte, wie ein ungewohnter Stich von Eifersucht in ihm brannte.
Er wollte gerade eintreten und das Treffen „offiziell begleiten“, als ihn die Worte eines längst bekannten Verses trafen — fast wie ein Schlag auf die Schulter:
„Ach dass doch das ganze Volk des HERRN Propheten wäre…“
Er blieb im Halbdunkel stehen.
War das nicht immer sein Wunsch gewesen? Dass nicht nur er brannte, sondern viele?
Elias schloss leise die Tür, ohne dass jemand ihn bemerkt hätte, und lehnte sich dagegen. Zum ersten Mal seit langer Zeit musste er lächeln. Vielleicht war es genau das, wofür er all die Jahre gearbeitet hatte – dass der Funke übersprang.
Der nächste Sonntag kam, und Elias bat Jana, von ihrem Glauben zu erzählen. Sie errötete, zögerte – und tat es dann. Und wieder flammte etwas auf, in den Augen vieler.
Nach dem Gottesdienst trat ein junger Mann zu Elias. „Pastor,“ sagte er, „es ist, als würde Gott gerade überall Türen öffnen. Ich spüre… ich spüre, dass ich auch etwas beitragen möchte.“
Elias nickte langsam.
Der Stich der Konkurrenz war verschwunden. Stattdessen lag da etwas Neues, Warmes in seiner Brust.
„Dann folgt dem, was der Geist euch schenkt,“ sagte er. „Es ist nie nur die Aufgabe eines Einzelnen gewesen.“
Als der junge Mann gegangen war, blieb Elias stehen und schaute in die lebendige, wachsende Gemeinde. Er fühlte keine Sorge mehr darüber, seinen Platz zu verlieren. Er sah nur ein Feld voller Funken, die langsam zu Flammen wurden.
Und er wusste: Die größte Freude eines Dieners Gottes ist nicht, selbst zu leuchten — sondern das Feuer weiterzugeben.