Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an. Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden.
Lukas 15, 22.24
Es gibt wenig, was komplizierter ist als seine Hinterlassenschaft gut zu vererben. Ganze Heerscharen von Anwältinnen und Anwälten streiten sich im Sinne ihrer Mandanten um Erbschaften. Wenn es besonders berühmte Menschen betrifft, dann landet es auch in der Presse. Wenn es um das Erbe geht, dann versteht keiner Spaß. Das war vor tausenden Jahren genauso wie heute. Als der jüngere Bruder nach Hause kommt, der sein Erbe komplett verprasst hatte, und dann empfangen wird mit einem großen Fest – da versteht der ältere Bruder keinen Spaß. Er ist – zurecht – sauer. „Ich war immer an deiner Seite, Vater, für mich gab es so ein Fest nicht.“
Nun, ich kann den Bruder verstehen. Nach unseren Maßstäben hatte der jüngere Bruder sein Erbe verspielt. Spannend aber ist: Er bleibt der Sohn seines Vaters, obwohl er nur als Knecht zu seinem Vater zurückkehren wollte.
Mich bringt dies in zweifacher Hinsicht zum Nachdenken. Zum einen freue ich mich darüber, dass Menschen bei Gott eine zweite Chance haben. Und ich hoffe darauf, dass auch ich sie bei Gott habe, wenn ich vorher einen falschen Weg eingeschlagen hatte.
Zum anderen werde ich gefragt, ob meine Bewertungsmaßstäbe immer so richtig sind. Der Vater sieht die Rückkehr des Sohnes nicht unter dem Aspekt der verprassten Erbschaft, sondern unter dem Aspekt der Liebe eines Vaters. Er freut sich unbändig darüber, seinen Sohn wieder bei sich zu haben, den er eigentlich schon als verloren geglaubt hatte. Er reagiert mit dem Herzen und nicht mit dem Verstand. Und wo und wie reagiere ich mit meinem Herzen?
Guter Vater!
Danke, dass du den Menschen und auch mir eine zweite Chance gibst. Amen.
Eine Nacht im Wald (Gudrun Pausewang)
Kaum hatte Peter das Zeugnisheft in der Hand, blätterte er es hastig auf. Da stand sie, die Fünf in Rechnen, vor der er sich schon so sehr gefürchtet hatte. Ihm schössen die Tränen in die Augen. „Da ist nun nichts zu machen, Peter", sagte der Lehrer. „Im nächsten Schuljahr musst du schauen, daß du sie wieder wegschaffst. Sei fleißiger und pass besser auf."
Peter antwortete nicht. Er dachte nur: Der Vater! ,Komm du mir mit einer Fünf heim, dann kannst du was erleben!', hatte er am Morgen gesagt, als Peter zur Schule gegangen war. ,Du bist schlau, aber faul. Du kannst, wenn du willst.'
Die anderen Kinder liefen mit Geschrei aus der Schule, schwenkten die Zeugnishefte und waren verschwunden. Peter lief nicht mit. Er blieb vor dem Schultor stehen, dachte an Vaters Stock und überlegte. Alle Menschen sind schlecht, dachte er, alle außer mir. Der Lehrer gibt mir eine Fünf, der Vater hat mir Hiebe angedroht, die Mutter hält zu ihm statt zu mir, die Oma wird mir eine lange Predigt halten, und die Kinder werden im ganzen Ort herumlaufen und erzählen, daß ich eine Fünf habe. Wirklich, alle Menschen sind schlecht. Ich habe genug von ihnen! Ich brauche sie nicht. Ich bin groß genug, um ohne sie auszukommen. Jetzt gehe ich weit weg von zu Hause und will mit niemand mehr etwas zu tun haben. Er schlich um die Schule herum und aus dem Ort heraus, ganz heimlich, dass niemand ihn sah, und lief durch die Felder bis an das Gebüsch am Waldrand. Hier hatte er oft gespielt. Von da wanderte er in den Buchenwald hinein. Darin war es sehr still und schattig. Aber Peter hatte keine Angst, er schaute sich kein einziges Mal um. Nach dem Buchenwald kam ein dichter, finsterer Fichtenwald. „Es gibt ja keine wilden Tiere mehr bei uns in Deutschland", sagte Peter laut. „Im Wald gibt's überhaupt nichts Gefährliches außer giftigen Pilzen, und wenn ich keine Pilze esse, kann ich mich auch nicht vergiften. Mir kann also nichts geschehen."
Aber er schaute sich doch einmal um. Vom Ort war nichts mehr zu sehen, der Weg hatte einen Bogen gemacht. Peter ging immer weiter, er sang laut und schaute weder nach rechts noch nach links. Er kam an einer Schonung vorbei, dann geriet er auf einen Platz, wo Holzfäller gearbeitet hatten. Sie hatten Stämme gefällt und geschält und Meterholz ringsum aufgeschichtet. Die Lichtung war voll Sonne. Peter schaute sich nun doch um. Er stolperte dabei über einen frischgesägten Holzklotz. Plötzlich entdeckte er eine kleine Hütte, die den Holzfällern gehört hatte. Darin hatten sie bei Regen Unterschlupf gesucht. Jetzt stand sie leer.
Peter war neugierig. Ob sie verschlossen ist, dachte er? Sie war offen, und schon war er drin: ein leeres, viereckiges Zimmer mit einem Fenster und einer Tür. Zerknüllte Zeitungen lagen herum. Hier bleibe ich, dachte Peter.
Er legte seinen Ranzen in die Ecke und warf die Zeitungen zum Fenster hinaus. Dann schleppte er den Holzklotz herein, über den er gestolpert war. Das war ein schöner Tisch. Er fand noch einen kleineren Klotz. Das war ein guter Stuhl. Neben der Hütte lag eine verrostete Konservenbüchse. Er füllte sie mit Wasser aus dem Graben neben dem Weg. Am Grabenrand wuchsen Blumen. Er pflückte einen Strauß und steckte ihn in die Büchse. Das war eine schöne Vase für den Tisch. Jetzt sah es in der Hütte schon richtig nach Wohnzimmer aus. Peter setzte sich an den Tisch.
Ich gehe nie mehr heim, dachte er. Hier fragt mich keiner nach meinem Zeugnis. Hier bin ich der Herr!
Jetzt erst merkte er, dass er Hunger hatte. Sein Frühstücksbrot hatte er in der Schule gegessen. Wo sollte er etwas zu essen herbekommen? Obwohl er gern in seinem Wohnzimmer sitzengeblieben wäre, musste er nun doch in den Wald hinausgehen, um etwas zu essen zu suchen. Aber hier wuchsen weder Himbeeren noch Heidelbeeren, und die Nüsse waren noch nicht reif. Er fand nur ein paar kümmerliche Walderdbeeren und Sauerklee. Davon wurde er nicht satt. Macht nichts, dachte er. Ich werde einen Hasen fangen. Den brate ich mir dann über einem kleinen Feuer.
Er wusste nicht, wie spät es war. Am Stand der Sonne erkannte er, daß es Nachmittag sein müsste. Er versuchte eine Schaufel zu basteln, aber er hatte keinen Bindfaden, und so fiel sie ihm immer wieder auseinander. Deshalb musste er die Grube am Waldrand mit seinen Händen graben. Die Grube, das war seine große Idee: Als sie tief genug war, legte er Zweige und Gras darüber. Jetzt kann sie niemand mehr sehen, dachte er. Wenn ein Hase darüber läuft, fällt er hinein und ist gefangen!
Am liebsten hätte er seinen Freunden die herrliche Hasenfalle gezeigt, aber er war ja allein. Um die Hasen nicht zu verscheuchen, versteckte er sich in der Hütte und beobachtete die Falle durch das Fenster.
Kein Hase kam. Die Sonne ging unter, es wurde kühler. Peter fror. Er trug vor der Hütte ein Häufchen Holz zusammen, um ein Feuer zu machen und sich daran zu wärmen. Als er das Holz anstecken wollte, merkte er, daß er keine Streichhölzer bei sich hatte. Es war also nichts mit dem Wärmen, und so hockte er sich müde und hungrig auf den Klotzstuhl und klapperte mit den Zähnen. Aber er konnte ja nicht die ganze Nacht so sitzenbleiben. Er musste sich auf den Bretterboden legen. Der war scheußlich hart. Ihm fielen die Zeitungen ein, die er zum Fenster hinausgeworfen hatte. Er holte sie wieder herein und legte sie unter sich. Na, sehr viel weicher wurde es dadurch auch nicht.
Ich müsste mir ein Bett aus Gras machen, dachte er. Es war aber inzwischen draußen so dunkel geworden, daß er sich nicht mehr von der Hütte fortwagte. Hier knackte es, dort knisterte es. Peter zitterte vor Angst. Er drückte sich in eine Ecke der Hütte und hielt den Ranzen vor sich. Aber weil er so müde war, sank er schließlich um und schlief auf dem Boden bis zum Morgen. Er wachte nicht von der Sonne auf, sondern von der Kälte. „Mutti!" rief er.
Als keine Mutti kam, erinnerte er sich wieder, wo er war. Heute wird es schon besser gehen, dachte er und stand auf. Er ging hinaus an den Graben und beugte sich darüber, um sich zu waschen. Das Wasser war so braun, als hätten sich schon Wildschweine darin gebadet. Ihm ekelte davor. Und dabei hatte er gerade jetzt einen solchen Durst! Wo sollte er Waschwasser und Trinkwasser herbekommen? Einen Kamm? Eine Zahnbürste? Und das schlimmste: Es stand kein Frühstück auf dem Tisch! Macht nichts, dachte Peter, während der Nacht ist sicher ein Hase in die Falle gegangen.
Er lief zur Grube. Sie war leer. Er fand auch keine Erdbeeren mehr, sondern nur noch Sauerklee, aber den mochte er nicht mehr. Meine Eltern waren zwar zu streng mit mir, dachte er, aber zu essen haben sie mir immer gegeben. Es fing an zu regnen. Peter rannte in die Hütte. Als er sie noch einmal ansah, fand er sie nicht so schön wie das Wohnzimmer daheim.
Am Nachmittag gegen drei klingelte es bei Peters Eltern. Sein Vater öffnete die Tür, und da stand Peter: zerzaust, schmutzig, kleinlaut.
„Peter!" rief der Vater und zog ihn an sich. „Wo kommst du her — um Himmels willen? Mutter, komm raus, Peter ist da!"
Die Mutter stürzte aus der Küche und fing an zu weinen. „Junge, Junge, wo bist du bloß gewesen!" schluchzte sie. „Die Polizei sucht schon nach dir!" „Im Wald", stotterte Peter.
Er sagte nichts davon, daß er dort hatte wohnen bleiben wollen. „Du hast Hunger! Komm in die Küche!" rief die Mutter. „Wer wird denn so ein Theater machen wegen einer Fünf", sagte der Vater. „Mutter und ich haben die ganze Nacht nicht geschlafen. Der Lehrer hat auch nach dir gesucht, und die Kinder deiner Klasse haben ihm geholfen. Ich will jetzt allen schnell sagen, daß du wieder da bist." Als Peter in der Küche saß über einem Teller Nudeln, dachte er: Vater hat Angst um mich gehabt. Mutter hat geweint vor Freude, als ich wiederkam. Der Lehrer hat nach mir gesucht und die Kinder haben ihm dabei geholfen. Es sind doch nette Leute. Ich bleibe hier.
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause