Wenn ich sprach: Mein Fuß ist gestrauchelt, so hielt mich, HERR, deine Gnade.
Psalm 94,18
Ich musste sofort an die sehr bekannte und sehr nachdenklich machende Geschichte von Jesus denken. Vor ihn bringen Menschen eine Ehefrau, die fremdgegangen ist. Die Strafe ist die Steinigung. Sie dringen auf Jesus ein, was zu tun ist. Dieser antwortet: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Nach und nach gehen alle. Jesus sagt zu der Sünderin: „Ich verurteile dich auch nicht, sündige in Zukunft nicht mehr.“
Leider gehören Sünde und Straucheln zu jedem Leben dazu. In dem einen Leben mehr, in dem anderen weniger. Schuld aber lastet auf allen Schultern. Diese Erfahrung hat auch der Psalmbeter gemacht. Aber er machte auch die Erfahrung der Gnade Gottes.
Wikipedia beschreibt „Gnade“ als christlicher Begriff, der eine Zusammenfassung dessen ist, was Worte wie Heil, Liebe und Freundschaft im Zusammenhang mit dem Erlösungsgeschehen in Jesus Christus beschreiben. Eng verwandte theologische Begriffe sind Heil, Barmherzigkeit, Güte und Gerechtigkeit Gottes.
Das Wort „Gnade“ kommt von althochdeutsch „ganada“ =Wohlwollen. Gott ist also den Menschen wohl gesinnt. Frei übersetzt: Gott hat den Menschen lieb. Das ist die Grundlage, das Fundament seiner Gnade.
Wir kennen dies auch von uns. Menschen, die wir besonders gerne haben, betrachten wir sehr genau. Es ist uns besonders wichtig, wie sie sich verhalten. Und wir sind bei ihnen trotzdem eher geneigt, ihnen zu verzeihen als denen, die wir so gar nicht mögen. Mensch haben wir ein Glück, dass Gott uns liebt. Wenn er alles auf die Waage legen würde, dann sähe es aber ziemlich übel mit uns aus.
Guter Vater!
Ich hoffe auch auf deine Gnade. Amen.
Unser Hausmeister, der Einbrecher (Gudrun Pausewang)
Senior Delgado ist jetzt unser Hausmeister. Früher ist er Einbrecher gewesen.
Das kam so: Eines Nachts wachte mein Vater auf. Er hatte ein Geräusch im Nebenzimmer gehört. Hier in der großen Stadt San Roque muss man mit Einbrechern rechnen. Deshalb hat mein Vater immer einen Revolver in der Nachttischschublade liegen. Er nahm also leise den Revolver aus der Schublade und schlich im Dunkeln bis in den Flur. Mit einem Ruck riß.er die Tür zum Wohnzimmer auf und schoss in die Luft. Dann knipste er das Licht an.
Da stand ein Mann ganz kläglich vor ihm, mit einer Taschenlampe in der einen und einem Sack in der anderen Hand. Er war gerade dabei gewesen, unseren Plattenspieler einzupacken. Der Sack war schon halbvoll. Dem Mann zitterten die Hände. Er ließ den Sack los und die Taschenlampe fallen und hob die Arme. „Nicht schießen", bat er, „ich habe neun Kinder." „Nun packen Sie mal alles wieder aus, was Sie da eingepackt haben", sagte mein Vater.
Eifrig leerte der Einbrecher seinen Sack. Mein Vater staunte nur so, was da zum Vorschein kam: eine silberne Schüssel, die immer bei uns auf dem Bücherbord stand, unsere Wanduhr, Vaters Feuerzeug, ein Transistorradio, das mir gehörte, der Mixer aus der Küche, das elektrische Bügeleisen und drei große silberne Suppenkellen. In der Küche war er also auch schon gewesen.
„Bitte rufen Sie nicht die Polizei", sagte der Einbrecher, als er alles aus dem Sack herausgekramt hatte. „Sonst komme ich für ein paar Monate, oder noch länger, ins Kittchen. Was wird dann mit meinen Kindern?"
Der Vater, natürlich im Pyjama, legte den Revolver auf den Couchtisch, ging zur Bar und nahm die Whiskyflasche und zwei Gläser heraus.
„Würden Sie so freundlich sein und ein paar Eiswürfel aus dem Kühlschrank holen?" sagte er zu dem Einbrecher. „Sie kennen sich ja in unserer Küche aus."
Der Einbrecher starrte ihn mit offenem Mund an, dann ging er in die Küche.
„Der Lichtschalter ist rechts neben der Tür!" rief ihm der Vater zu und ließ sich in einen Sessel sinken.
Nach einer Weile kam der Einbrecher tatsächlich mit einer ganzen Schüssel voller Eiswürfel zurück, aber seine Hände zitterten noch immer. Er stellte die Schüssel auf den Couchtisch und blieb vor meinem Vater stehen.
„Nun lassen Sie sich mal gemütlich nieder, nach dem Schrecken", sagte mein Vater, „und verschnaufen Sie. Zigarette?" Der Einbrecher starrte meinen Vater wieder an, dann setzte er sich vorsichtig in den Sessel und nahm eine Zigarette aus der Schachtel, die der Vater ihm entgegenhielt. Der Vater nahm das Feuerzeug, das der Einbrecher aus dem Sack herausgeräumt hatte, und gab erst dem Mann, dann sich selber Feuer.
„Sie trinken doch sicher einen Whisky mit mir?" fragte er und schenkte dem Mann ein Glas ein. Der saß steif in dem Sessel und wagte kaum, sich zu rühren. Er sah meinen Vater ängstlich an. Der trank und rauchte genüsslich und sagte gar nichts, sondern lehnte sich nur in seinem Sessel zurück.
„Glauben Sie ja nicht", sagte der Einbrecher plötzlich, „daß ich stehlen würde, wenn ich auf andere Art zu Geld käme." Mein Vater schwieg.
„Ich habe viele Jahre in einer Fabrik gearbeitet", sagte der Mann. „Dort sind sie immer zufrieden mit mir gewesen. Aber vor zwei Jahren wurde die Fabrik zugemacht, und ich saß auf der Straße." „Welche Fabrik war das?" fragte mein Vater. „Die Schaumgummifabrik an der Avenida San Pedro." „Stimmt", sagte mein Vater.
„Ich hab' danach überall nach Arbeit gesucht, denn mit neun Kindern kann man ja nicht von Luft leben. Ich hatte die Älteren in eine Schule gehen lassen, und alle sind sie gute Schüler gewesen. Aber dann musste ich sie rausnehmen, weil ich die Schule nicht mehr bezahlen konnte. Ich wusste nicht einmal, wo ich das Essen für sie hernehmen sollte. Von Fabrik zu Fabrik bin ich gegangen und hab' nach Arbeit gefragt. Aber da stehen hier ja überall schon 'Schlangen von Leuten, die Arbeit suchen. Und ich bin nicht mehr der Jüngste. Als ich dann eins von meinen Kindern ertappte, wie es vor Hunger in einer Bäckerei ein Brötchen klaute, da hab' ich gedacht, eher gehe ich stehlen, als daß meine Kinder stehlen müssen, und dann fing ich damit an." „Weiß es Ihre Frau?" fragte mein Vater.
„Nein", antwortete der Einbrecher. „Ich hab' ihr erzählt, ich habe eine Stelle als Wachmann gefunden, für die Nacht." „Wie rentiert sich denn die Stehlerei?" fragte mein Vater. „So großartig ist es nicht. Man bekommt nicht viel für das geklaute Zeug, und manche Nächte findet man gar nichts. Man muss froh sein, wenn man nicht erwischt wird. So viele Leute haben Hunde. Bei denen lässt sich nichts machen. Meine Kinder kriege ich jetzt satt, aber für die Schule reicht's nicht."
„Und sind Sie schon mal von der Polizei erwischt worden?" „Einmal, aber da hatte ich Glück. Als sie gerade nicht aufpassten, bin ich ihnen wieder ausgerückt. Aber sie schössen hinter mir her und trafen mich in den Arm." Er zeigte auf eine Narbe neben dem Ellbogen. „Ein gefährlicher Beruf", sagte mein Vater.
„Senior", rief der Einbrecher, „Sie haben Glück gehabt, Sie gehören nicht zu den Armen. Aber wenn Sie sähen, wie Ihre Kinder vor Hunger Brötchen klauen, und Sie keine andere Wahl hätten, da würden Sie auch Einbrecher werden!" „Möglich", sagte mein Vater. „Sehr gut möglich." Plötzlich ging die Tür auf, und meine Mutter, im Morgenrock, steckte den Kopf ins Wohnzimmer. Sie hatte nicht gehört, wie mein Vater aufgestanden war, sie war erst später aufgewacht. Sie hat einen sehr tiefen Schlaf, Vater macht sich immer über sie lustig. Nicht einmal den Schuss hatte sie gehört, wohl aber, später, die Männerstimmen im Wohnzimmer.
„Was geht denn hier vor?" fragte sie erschrocken. „Nichts Besonderes, Liebling", antwortete mein Vater. „Ich habe Besuch von einem Freund bekommen, und wir trinken einen Whisky zusammen." Meine Mutter warf einen erstaunten Blick auf die schäbigen Kleider des Einbrechers, der sie verlegen ansah. „Es ist vier Uhr morgens", sagte sie.
„Für den Besuch eines Freundes ist jede Stunde recht", sagte mein Vater. „Geh nur wieder schlafen. Es ist alles in Ordnung." Gott sei Dank sah sie den Mixer und das Bügeleisen und alle die anderen Sachen nicht, die hinter Vaters Sessel auf dem Fußboden lagen. Sie schüttelte den Kopf, denn diesen Freund des Vaters hatte sie noch nie gesehen, und zog sich wieder ins Schlafzimmer zurück. „Danke", sagte der Einbrecher zu meinem Vater. „Kommen Sie morgen zu mir", sagte mein Vater zu ihm. „Sie wissen, wo die Alfa-Seifenfabrik liegt? Gut. Mein Büro ist im ersten Stock. Ich werde meinem Portier sagen, daß ich Sie erwarte. Wie ist Ihr Name?"
„Pab-Pablo D-Delgado", stotterte der Einbrecher. „Ich heiße Alfrede Perez", sagte mein Vater, „aber Sie brauchen nur nach dem Chef zu fragen. Zwischen zehn und zwölf erwarte ich Sie. Und nun leben Sie wohl, Senior Delgado. Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen. Vergessen Sie nicht Ihren Sack und die Taschenlampe." Er geleitete den Einbrecher an die Haustür. Der kam nach ein paar Schritten zurück. „Fast hätte ich's vergessen", sagte er leise. „Das Küchenfenster steht noch offen. Dort bin ich nämlich hereingekommen. Es wäre gefährlich, es offenstehen zu lassen."
„Danke", sagte mein Vater. „Ich mach' es gleich zu." Ich hatte von der ganzen Geschichte nichts gemerkt, denn ich schlafe auf der anderen Seite des Hauses. Als mein Vater sie uns am Frühstückstisch erzählte, schlug meine Mutter die Hände zusammen. „Er hätte dich umbringen können!" jammerte sie. Aber inzwischen mag sie Senior Delgado gut leiden. Seitdem er Hausmeister in unserer Fabrik ist, wurde dort noch nichts gestohlen.
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause