Wende dich zu mir und sei mir gnädig; denn ich bin einsam und elend.
Psalm 25,16
Alleine die Formulierung zeigt schon: Hier geht es jemandem gar nicht gut. Und bevor er Gott bittet, ihm zu helfen, da beschwört der Psalmbeter die Gnade Gottes und berichtet von seiner eigenen Schuld.
Wie viele Millionen Mal ist diese Bitte wohl schon an Gott gerichtet worden. Wahrscheinlich unzählige Male. Sich elend zu fühlen und einsam zu sein, das gehörte immer schon zum menschlichen Schicksal und tut es noch.
Viele Menschen im Altenheim Heinrich-Grüber-Haus nebenan bekommen gar keinen Besuch. Viele Ältere sitzen zuhause und haben das Gefühl, vom Leben abgeschnitten zu sein. Oft, wenn demente Bewohner in die Krankenhäuser kommen, dann kommen sie in einem elenden Zustand wieder zurück: Durchgelegen, schmutzig, dehydriert, abgemagert. Einfach Elend.
Aber es sind nicht nur die Älteren, die mit Elend und Einsamkeit kämpfen. Auch Jüngere, ja sogar Kinder fühlen sich und sind oft einsam. Gerade die Coronazeit hat viele einsam gemacht. Eine prägende ausgesprochen schwierige Zeit.
Viele Flüchtlinge sind unter uns: Aus Syrien, aus der Ukraine, aus dem Iran, aus der Türkei. Oft werden sie schief angesehen. Die rechtsextremistische AFD spricht von millionenfacher Remigration. Was sollen die Geflohenen denn denken angesichts einer solch menschenverachtenden Denkweise. Einsam.
Es gibt einfach unendlich viele Gründe, sich einsam und elend zu fühlen. Wie gut, dass wir dann mit Gott einen haben, der die Einsamkeit durch seine Gegenwart aufbricht, der statt verachtender Blicke. Liebe schenkt – der jedem Menschen sagt: Für mich bist du wertvoll.
Guter Vater!
Lass mich dort Hände reichen, wo jemand sie braucht. Amen.
Janni ist allein (Gina Ruck-Pauquet)
Es regnet. Janni ist allein zu Hause. Sie steht am Fenster und schaut zu, wie die Tropfen an der Scheibe herunterlaufen. Janni hat das schon oft erlebt, aber diesmal ist es anders.
Sie summt ein paar Töne und folgt mit dem Finger den Regenlinien auf dem Glas, wieder und wieder. Gegenüber stehen die hohen, dunklen Häuser. Janni weiß nicht, wer da lebt. Sie ist noch nicht lange hier in der Stadt.
Auf einem der kleinen Balkone, die wie Käfige sind, hängt ein Handtuch. „Es wird nass", denkt Janni, und sie wartet darauf, dass jemand das Handtuch hereinnimmt. „Wer da wohnen mag? Und nebenan? Und darüber?"
Sie hebt mit dem Fingernagel ein wenig Farbe vom Fensterrahmen. Es ist sehr still. Nur unten im Hof klopfen die Regentropfen auf die Deckel der Mülltonnen. Aber das Geräusch ist so gleichmäßig, daß es alles nur noch stiller werden lässt.
Janni wendet sich vom Fenster ab. Sie geht den buntgemusterten Teppich entlang und wieder zurück. Das Zimmer scheint ganz leer. In Wirklichkeit stehen die Möbel wie immer. Sogar das Buch, in dem sie gelesen hat, liegt noch auf dem Tisch. Janni nimmt es in die Hand. „Seite siebenundvierzig", sagt sie laut.
Für einen Augenblick hat Janni das Gefühl, daß sie sich verirrt hat. An einen Ort, an dem sie nie war. „Ich bin allein zu Hause", denkt sie. „Ich bin allein in der Welt." Sie geht zum großen Spiegel. „Hallo", sagt sie.
Ihre Stimme ist ganz weit hinten, und sie muss sich zweimal räuspern, bevor sie deutlich wird. „Hallo."
Sie drückt beide Hände gegen den Spiegel, und die kalte, glatte Fläche erinnert sie flüchtig an die Eisbahn vom letzten Winter. Da waren sie viele gewesen. Aber Janni bringt das Bild nicht mehr recht zusammen. Sie geht einmal rund um den Tisch, fährt mit dem Zeigefinger an der Tischkante entlang. Dann setzt sie sich in den tiefen Sessel. „Die Erde ist so rund wie ein Ball", fällt ihr plötzlich ein. „Vielleicht sind alle Leute hinuntergefallen, und bloß ich bin noch da", schießt es ihr durch den Kopf.
Sie fröstelt. Sie könnte sich einen Pullover holen — den himbeerroten. Aber sie zieht nur die Beine hoch und macht sich im Sessel ganz klein. Wenn sie die Augen schließt, ist es ein wenig, als ob sie flöge. Da klingelt es. Es klingelt schrill und sehr laut. Janni erstarrt. Sie war weit fort. Nun kehrt sie mühsam zurück.
„Telefon", begreift sie. Beim zweiten Klingeln nimmt sie den Hörer ab. Es ist eine Frauenstimme. „Farben-Probst?" fragt die Stimme. „Ist da Farben-Probst? Ich möchte Herrn Tienert sprechen." „Nein", antwortet Janni zögernd. „Nein, ich bin es — Janni." Die Frau lacht. Janni stellt sich vor, dass sie auf einer Sessellehne sitzt. „Janni", sagt die Frau. „Du bist wohl allein zu Hause?" „Ja", Janni schluckt. „Regnet es bei Ihnen auch?" „Und ob!" lacht die Frau. „Was machst du denn so?" „Ich bin allein zu Hause."
Janni findet, dass es eine furchtbar dumme Antwort ist. Und außerdem ist es ihr, als ob es nicht mehr so recht stimmte. „Na ja", sagt die Frau. „Ich auch." Plötzlich muss Janni lachen. „Also denn", sagt die Frau. „Vielen Dank für den Anruf", schließt Janni.
Das sagt ihre Mutter auch immer. Es ist sehr richtig, das zu sagen. Die Frau lacht noch ein bisschen, dann knackt es in der Leitung. Janni legt den Hörer auf. Sie fühlt sich prima. Als sie am Spiegel vorbeikommt, streckt sie die Zunge heraus. Sie schmiert ein Marmeladebrot und geht damit ans Fenster. „Tip, tip, tip", denkt sie, „der Regen ist ein graues Tier mit tausend Füßen." „Ein Tier mit tausend Füßen", singt sie mit vollem Mund. Und die Welt ist überhaupt nicht mehr leer. „Vielleicht wohnt sie da drüben", denkt Janni, „die Frau, die angerufen hat. Oder sonstwo. Da drüben wohnen jedenfalls viele Leute. Bald wird es dämmrig sein. Bei dem Wetter ist es früh dunkel. Dann zünden sie die Lichter an. Einer nach dem anderen. Bis alle Fenster hell sind."
Und Janni beginnt damit. Sie dreht am Lichtschalter. Vielleicht ist gegenüber jemand, der sich freut.
www.bibel-fürs-leben.de/27.html
Hier sind alte Andachten zu finden:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause