Wenn doch mein Volk mir gehorsam wäre und Israel auf meinem Wege ginge!
Psalm 81,14
„Gehorsam“ – eine Vokabel mit ganz vielen sehr unterschiedlichen Facetten: Meine Großmutter, Jahrgang 1903, kannte gegenüber ihren Eltern gar keine andere Möglichkeit als Gehorsamkeit. Auch die LehrerInnen der damaligen Zeit setzen Gehorsamkeit notfalls mit Gewalt durch. Dann gehorchte man im 1. Weltkrieg dem Kaiser und dem Vaterland und gut 20 Jahre später dem Führer. Und nach dem Krieg redeten sich viele heraus, sie hätten einfach nur Befehlen gehorcht.
Und heute? Gehorsamkeit hat deutlich an Bedeutung verloren. Zwischenzeitlich setze sich eine eher antiautoritäre Erziehung durch. Und doch: Heute wären wir an den Schulen froh, die Kinder würden wieder mehr gehorchen und wir bräuchten nicht so viel Zeit, um Kinder an die Regeln zu erinnern.
Und wie ist das mit der Gehorsamkeit gegenüber Gott? Der Psalmbeter meint bestimmt den Gehorsam gegenüber einerseits den Geboten und Anweisungen Gottes. Und andererseits wurden sie daran erinnert, dass der Gott Israels ihr einziger Gott sein sollte und dass sie sich auf niemand anderen verlassen sollen als auf Gott selbst.
Sind wir Gott heute gegenüber gehorsam? Irgendwie passt die Vokabel nicht mehr. Es geht doch eher um die Frage, ob und wie wir Gott in unser Leben lassen. Hat er Anteil an unserem Leben und wieviel? Richten wir unser Leben nach dem Glauben aus? Spielt unser Glauben bei unseren Entscheidungen eine Rolle? Machen wir auch manchmal etwas, weil es Gottes Willen entspricht? Ja, Gehorsamkeit gibt es auch heute noch und in vielen Bereichen ist sie auch sehr wichtig. Aber im Verhältnis zu Gott ist sie heute eher unpassend.
Guter Vater!
Ich möchte dich in meinem Leben haben. Amen.
Der Vogt will es so!
Die Glocken der Dorfkirche rufen zum „Engel des Herrn". Bernhard richtet sich auf, kniet nun senkrecht auf dem feuchten Boden und faltet seine schmutzigen Hände zum Gebet. Er genießt diese Minuten der Ruhe, in denen sich sein Oberkörper strecken darf. Er hört seine Schwestern Johanna und Elisabeth murmeln: „Maria sprach: Siehe, ich bin die Magd des Herrn und mir geschehe nach deinem Wort'."
Nach dem „Gegrüßet seist du, Maria" greift Bernhard wieder seinen Holzscheit und drückt ihn fest in die Erde, um mit ihm die Kartoffeln aus dem Boden zu holen. Er ist stolz auf dieses Stück Holz, das er sich selbst geschnitzt hat. Es gleicht einem Spaten, ist nur kürzer, so dass er kniend die Erde aufwerfen kann. Er legt die Kartoffeln in einen Korb, den er mit der linken Hand hinter sich herzieht. Zehn Stunden hat er heute schon gearbeitet, ohne Pause, lediglich unterbrochen von einem hastigen Mittagessen und dem gerade gesprochenen Abendgebet. Sein Rücken schmerzt von der Anstrengung, die Hände zeigen Schwielen und den Körper befällt Müdigkeit. Es ist gut, dass die Dämmerung hereinbricht. Sie erlaubt den Kindern, die Arbeit zu beenden. Bernhard schüttet die Kartoffeln auf den Leiterwagen, auf den auch seine Schwestern ihre Körbe geleert haben. Wortlos ergreift er die Deichsel der Karre und zieht sie über den aufgewühlten Acker. Elisabeth und Johanna schieben das beladene Wägelchen, indem sie gegen die hintere Querstange drücken.
Die drei erreichen ihr zerfallenes Zuhause. Bernhard fährt die kleine Karre in den alten Anbau und schiebt den verrosteten Riegel vor die rissige Tür.
Zu seinen glücklichsten Minuten des Tages gehören die nächsten, wenn er ins Haus tritt und von Hasso begrüßt wird. Jedes Mal springt sein Hund an ihm empor und leckt an seinen Händen. Bernhard krault das dichte Fell des Tieres, streichelt Hals und Rücken.
„Guten Abend", sagt die Mutter, „Vater ist noch nicht von der Arbeit zurück. Wir warten mit dem Abendbrot." Sie rührt mit dem Holzlöffel den Haferbrei um, der auf dem Herd kocht. Wie jeden Abend nimmt Bernhard die Eimer und verlässt das Haus. Sein Hund folgt ihm. Sie gehen über die holprige Dorfstraße zum Marktplatz, auf dessen Mitte der Brunnen steht. Der Junge bewegt den dicken Schwengel auf und nieder füllt die Eimer mit frischem Wasser. Er lässt sich Zeit, damit sein Hund mehrfach über den Platz rennen kann. Das Tier braucht diesen Auslauf. Dann hängt er die Eimer an das Joch, das er sich auf die Schultern legt. Den Kopf tief gesenkt, schleppt er die Last heimwärts. Das Licht des Mondes beleuchtet den Weg.
Das Wasser stellt er vor die Kommode neben die Haustür, füllt zwei Becher in eine Schale, um sich Hände und Gesicht zu waschen. Einen Napf mit Wasser reicht er dem Hund. Müde setzt er sich dann auf die Küchenbank, unter die sich Hasso verkriecht.
Am Kopfende nimmt stets der Vater Platz. Doch der ist immer noch nicht da. So stiert Bernhard hungrig auf seinen leeren Holzteller und krault dabei liebevoll den Hals des Hundes. Johanna und Elisabeth sitzen neben der Großmutter und helfen beim Spinnen. Seine jüngeren Brüder Konrad und Walter spielen mit Holzstücken auf dem Fußboden, während Mutter am Herd hantiert, unruhig auf die Rückkehr ihres Mannes wartend. Endlich hört die Familie Schritte und der Vater betritt die Küche. Er küsst flüchtig seine Frau und wäscht sich dann Hände und Gesicht. Erschöpft setzt er sich neben seinen Ältesten.
„Werdet ihr Morgen das Kartoffelfeld abgeerntet haben?“, fragt er. Bernhard nickt. Mutter reicht Vater das Brot, das sie heute gebacken hat. Für Sekunden schließt dieser dankbar seine Augen, dann ritzt er mit dem Messer drei Kreuze in die knusprige Unterseite, dabei betet er: „Gib uns unser tägliches Brot, gütiger Gott." Während er sorgfältig Scheibe für Scheibe abschneidet, schöpft Mutter jedem eine Kelle Haferbrei auf den Teller. Das Brett mit dem Brot reicht Vater herum. Als alle essen, versteckt Bernhard heimlich ein Viertel seines Brotes in seiner Hosentasche. Dieses Eckchen hebt er sich jeden Abend auf, um es vor dem Einschlafen Stück für Stück auf seiner Zunge zergehen zu lassen. Das Kauen des Brotes und die Wärme seines Hundes schenken ihm zu später Stunde das Gefühl des Wohlseins.
Vater sieht auf seinen Teller, als er plötzlich sagt: „Wir müssen Hasso töten!"
Bernhard schaut seinen Vater fassungslos an, der seinen Blick nicht erwidert. „Nein!", schreit er. „Der Vogt will es so."
„Hasso hat keinem ein Leid zugefügt", protestiert Bernhard. Eine Weile ist es totenstill. Obwohl der Junge erst zehn Jahre alt ist, weiß er, dass jede Anordnung des Vogtes sofort ausgeführt werden muss. Tränen kullern in seinen Haferbrei. Bernhard spürt das Fell seines Hundes, der unter der Bank zu seinen Füßen liegt.
„Der Vogt will es so", wiederholt der Vater. „Wir Bauern müssen alle Hunde abschaffen und alle langen Messer abgeben. Der Mühlenbauer ist beim Jagen erwischt worden. Zur Strafe hat man ihm beide Augen ausgebrannt." „Dem Mühlenbauern?", fragt die Mutter entsetzt. „Dem Mühlenbauern! Damit keiner mehr in die Versuchung kommt, müssen alle Hunde des Dorfes getötet und alle langen Messer abgegeben werden. So will es der Vogt!" „Hasso hat noch nie ein Tier gejagt", sagt Bernhard mehr zu sich selbst als zu seinen Eltern.
Obwohl er heute wenig gegessen hat, lässt er ein Stück Brot zu Boden fallen, das der Hund verschlingt.
Bernhard liebt Hasso. Sie sind zusammen aufgewachsen, haben miteinander gespielt, einander gewärmt. Jede Nacht ist der Hund in das Bett des Jungen gekrochen und vorm ersten Hahnenschrei zurück in die Küche geschlichen, von niemandem bemerkt. Vater will nicht, dass Tiere sich in den Schlafkammern der Menschen aufhalten.
„Schon heute Nacht wird er nicht mehr kommen!", weint es in Bernhard und er kramt in seiner Hosentasche nach dem Stückchen Brot, das er sich wie immer für die Nacht aufheben wollte. Heute lässt er auch noch dies auf den Boden fallen.
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause