Und was vom Hause Juda errettet und übrig geblieben ist, wird von Neuem nach unten Wurzeln schlagen und oben Frucht tragen.
2. Könige 19,30
Es ist manchmal schon irre, welche Kräfte die Natur hat. Da lagern über viele Jahre Samen im Wüstensand. Kaum regnet es, blüht kurz danach die ganze Wüste. Ein winzig kleiner Pilz hat die Kraft, eine Asphaltdecke zu durchbrechen. Und aus einem abgeschlagenen Baum erwächst ein neuer. Wir haben dies erlebt als in den Nordstadt Pappeln gefällt wurden. Nach einiger Zeit kamen neue Schösslinge aus den alten Wurzelsträngen.
Das zweite Königbuch meint natürlich die Geschichte Israels. Es war nach einer vernichtenden militärischen Niederlage gegen Babylonien fast ganz zerstört, die Oberschicht im Exil. Und doch erwuchs aus den Resten wieder ein neues Land. Die Menschen kehrten nach Jerusalem zurück und baten es wieder auf.
Aber noch in einer anderen Hinsicht ist dieser Vers aus dem 2. Königbuch für jeden und jede Einzelne(n) wichtig. Auch Menschen können den Halt verlieren, den Boden unter den Füssen. Auch Menschen stürzen und fallen tief. Es gibt Vieles, das Menschen aus dem Tritt bringen kann: Arbeitslosigkeit, Armut, Krankheit, Sucht, Depressionen. Und manch einer fällt wirklich tief und findet sich auf einmal in einer Lebenssituation, mit der er oder sie nie gerechnet hatte.
Und doch können Menschen wieder aufstehen. Denn ganz egal, was andere denken, bleibt Gottes Liebe zu den Menschen gleich – egal wie tief sie abgestürzt sind. Und auch Gottes Unterstützung bleibt gleich. „Ich gebe dir Kraft für einen Neuanfang.“ „Ich gebe dir Mut für einen neuen Beginn.“ „Ich traue dir zu, dass du das schaffst.“ Mit soviel Unterstützung ist es viel einfacher wieder aufzustehen.
Guter Vater!
Bitte hilf mir, wenn ich ganz unten bin. Amen.
Neuanfang (Irene Beddies)
Vor langer Zeit, als der dauernde Krieg die Länder verwüstete, saß ein kleines Mädchen reglos auf der Schwelle eines zerstörten, ausgebrannten Bauernhauses. Es sah verwahrlost aus, hatte keine Schuhe und nur ein dünnes, geflicktes Kleidchen an. Die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht, das mit Schmutz und Asche beschmiert war.
Ein ausgedienter Söldner mit einem Holzbein kam an der Ruine vorbei. Im letzten Moment bemerkte er das Kind, das ausdruckslos vor sich hin starrte.
Er legte seine Krücke ab und hockte sich zu ihm nieder, so gut es ging, und betrachtete es ernsthaft.
„Kleine, hast du Hunger?“, fragte er mit so viel Mitleid, wie er in diesen grausigen Zeiten aufbringen konnte. Das Mädchen schaute ihn verständnislos an, als ob es aus einem tiefen Traum erwachte. Der Mann wiederholte seine Frage. In den Augen des Kindes glomm etwas wie Verstehen auf.
„Ich bin Friedrich“, stellte sich der Mann vor, „und wer bist du?“
„Ich heiße Rosi“, flüsterte das Kind ängstlich. „Ich soll nicht mit Fremden sprechen, sagt meine Mutter.“ „Und wo ist deine Mutter?“ „Sie ist tot und mein Vater ist im Krieg irgendwo.“ „Dann bist du hier also ganz allein?“
Rosi guckte sich suchend um. „Meine Oma. . .“, begann sie, „meine Oma war gestern noch da.“ „Und nun ist sie fort?“ Rosi nickte und verfiel wieder in ihre Starre.
Friedrich sah, dass er aus ihr nicht viel mehr an Information herausholen konnte. Er richtete sich mühsam wieder auf und tastete sich vorsichtig in das verfallene und verbrannte Haus. Überall lagen Trümmer des Daches in der Asche. Möbel waren kaum welche da, auch sie zeigten Brandspuren. In einer Ecke musste ein Bett gestanden haben. In ihm fand er die Leiche der Großmutter. Die durfte das Mädchen auf keinen Fall sehen. Er kehrte zu Rosi zurück, die immer noch wie in Trance in derselben Stellung hockte, wie er sie verlassen hatte. „Komm, wir suchen die Oma.“ Leise berührte er ihre Schulter und half ihr auf. „Wir suchen sie im Wald“, schlug er vor. Rosi nickte teilnahmslos, ließ sich aber an die Hand nehmen. Gemeinsam verließen sie den Ort des Grauens.
Als sie über eine Wiese kamen, spürte Rosi das weiche Gras unter ihren nackten Füßen. Verwundert blickte sie auf. Sie sah, dass die Sonne schien, hörte eine Lerche jubilieren und fühlte ihre Hand in der Hand Friedrichs. Zum ersten Mal nahm sie den fremden Mann richtig wahr. Rosi entsetzte sich über sein Holzbein, so etwas hatte sie noch nie gesehen. Sie nahm auch die Krücke wahr, auf die der Mann sich stützen musste, um weiterzukommen. „Wie kommt das Holz an dein Bein?“, fragte sie schüchtern. „Mein Bein wurde verwundet, als wir eine Stadt eroberten, es wurde krank. Da hat einer es einfach abgesägt. Es heilte an der Stelle, und so bin ich am Leben geblieben. Nun will ich in meine alte Heimat. Du kommst mit mir, wenn wir die Oma nicht finden. Allein kannst du nicht bleiben.“ „Oma ist doch sicher im Wald“, meinte Rosi. „Ja, ja, wir werden sie sicherlich finden“, tröstete Friedrich sie, als er sah, dass sie weinen wollte. „Komm, wir müssen los.“
Am Beginn des Waldes floss ein Bächlein entlang der Wiese. Friedrich setzte sich auf einen Baumstumpf, Rosi kauerte sich ins Gras. Beide waren durstig und schöpften Wasser, das sie aus den hohlen Händen tranken. Etwas zum Essen hatten sie nicht. Da raschelte es neben ihnen. Blitzschnell griff Friedrich zu und hatte eine Maus gefangen, der er das Rückgrat brach. „Noch mehr von ihnen, und wir haben eine kleine Mahlzeit“, meinte er zufrieden uns steckte sie in eine Tasche seiner Jacke. Rosi schaute ungläubig, sagte aber nichts.
So gingen sie in den Wald. Zunächst führte noch ein Weg hinein, der aber bald unter Pflanzen und abgestorbenen Ästen verschwand. Nun ging es nur mühsam voran. Friedrich schaute sich überall um, ob er nicht etwas Essbares finden konnte. Manchmal bückte er sich und pflückte ein paar Blätter oder kratze eine Wurzel aus dem Waldboden.
Am späten Nachmittag kamen sie an einen uralten Baum, dessen Stamm innen hohl war. „Halt, hier bleiben wir für heute, hier haben wir ein Dach über dem Kopf.“ „Und Oma?“ „Tja, nach Oma müssen wir dann morgen schauen, wenn die Sonne aufgeht.“
Friedrich sammelte mit Rosa Holz, das sie zu einem kleinen Stapel aufschichteten. Sie sammelten auch tote Blätter, die sie in die Höhle im Baum als Unterlage für die Nacht streuten. Der Mann zündete ein Feuer mit Hilfe von den Feuersteinen an, die jeder im Haus oder seinem Gepäck hatte. Als es verlöschte, legte er die Dinge darauf, die er im Laufe des Weges gesammelt hatte. Viel war es wahrlich nicht, aber ein wenig konnte es den ärgsten Hunger vertreiben. Danach krochen sie in ihren Unterschlupf. Rosi fiel schnell in tiefen Schlaf, Friedrich aber verließ das Versteck bald darauf und legte in der Umgebung Schlingen aus. Er war darin geübt, er brauchte nur eine Schlinge jeweils zu binden aus Efeuranken. Danach begab er sich ebenfalls zur Ruhe.
Am nächsten Morgen weckte Rosi ein betörender Duft nach gebratenem Fleisch. Der Platz neben ihr war leer, aber sie hörte ein unterdrücktes Pfeifen, das wie ein Lied klang, das sie kannte. Friedrich hatte ein neues Feuer entzündet und einen Hasen, der sich in einer der Schlingen verfangen hatte, gebraten.
Tage und Wochen vergingen auf diese Weise. Friedrich mied die zerstörten Dörfer mit den verwilderten Überlebenden und hielt sich an die Wälder und verödeten Felder. An die Oma dachten beide schon lange nicht mehr. All ihre Kräfte brauchten sie zum Überleben.
An einem Vormittag kamen sie in die Nähe eines Dorfes. Eine Kirchenglocke läutete. Es mussten Leute dort sein, die noch nicht ganz vom Krieg heimgesucht worden waren. Als sie näher kamen, wurde Friedrich plötzlich unruhig.
„Das ist mein Heimatort, Rosi. Hier habe ich gewohnt, als ich so alt war wie du. Mal sehen ob noch Menschen am Leben sind, die ich gekannte habe.“
Sie kamen an dem Kirchlein an, als gerade der Gottesdienst zu Ende war. Friedrich musterte alle Personen eingehend, die aus der Kirchentür kamen. Fast niemanden erkannte er wieder. Doch plötzlich stutzte er, schaute genau hin und stürzte, als er sich hastig einer älteren Frau nähern wollte. „Mama“, schrie er laut. Die Frau eilte herbei, erkannte in der liegenden Gestalt ihren lange vermissten Sohn und brach ohnmächtig zusammen. Nachbarn brachten beide wieder auf die Beine. Rosi hielt sich im Hintergrund, viele Menschen war sie nicht gewohnt.
Nach der ersten Begrüßung aber sah Friedrich sich um. Auch ihm war die Menschenansammlung unangenehm. Da entdeckte er Rosi, die ganz verloren dastand. „Rosi, komm zu mir, hier ist eine Oma für dich, die dich lieb haben wird.“ Seiner Mutter erklärte er die Erlebnisse, die ihn und das Kind zusammengeschweißt hatten. Er wollte fortan ein Vater für sie sein.
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