Nehmt einmal an, bei euch gibt es einen Bruder oder eine Schwester, die nichts anzuziehen haben und hungern müssen. Was nützt es ihnen, wenn dann jemand von euch zu ihnen sagt: »Ich wünsche euch das Beste; ich hoffe, dass ihr euch warm anziehen und satt essen könnt!« –, aber er gibt ihnen nicht, was sie zum Leben brauchen?
Jakobus 2,15+16
Manchmal, wie hier, ist die Bibel ein sehr praktisches Buch. Da gibt es sehr einfache Regeln und Vorschläge. So auch hier, jede(r) versteht sofort, was gemeint ist. Warme Worte ziehen einen nicht an und machen nicht satt.
Der Jakobusbrief aber benutzt diese Worte, um etwas ganz anderes herauszuheben. Im folgenden Satz nämlich heißt es: „Genauso ist es auch mit dem Glauben: Wenn er allein bleibt und aus ihm keine Taten hervorgehen, ist er tot.“
Müsste man also einen Christen, eine Christin daran erkennen, wie sie handeln? Ja und Nein. Nun Christen handeln ganz normal wie andere auch. Allerdings sind sie in der Nachfolge Jesu auch dazu aufgerufen sich nach den Worten Jesu zu richten, nach seinem Vorbild zu handeln.
Jemanden von oben herab zu behandeln – geht nicht. Bei der Steuererklärung zu mogeln – geht nicht. Jemanden mit anderen zu mobben – geht nicht. Jemanden absichtlich zu betrügen – geht nicht. Sich für was Besseres halten – geht nicht. Und, und, und …..
Ja, Christen sind auch nur Menschen. Und auch Christen machen Fehler. Auch Christen handeln falsch. Aber dann kann ich zu Gott gehen und ihn um seine Vergebung bitten. Was es allerdings mit Sicherheit dazu braucht ist ein Gefühl der Reue. Ohne Reue ist ein „Es tut mir leid“ nicht glaubwürdig. Mit Reue ist es das sofort. Und durch seine Vergebung wird Gott dann den Weg für einen Neuanfang frei machen.
Guter Vater!
Hilf mir einen guten Weg der Nachfolge zu gehen. Amen.
Wo die Liebe ist, da ist Gott (Leo N. Tolstoj)
Vor hundert Jahren in einer russischen Stadt: Unten im Keller eines Hauses wohnte der Schuster Martin. Das Fenster seiner kleinen Werkstatt führte nach oben auf die Straße. Wenn Martin hinausschaute, konnte er die Leute sehen, die vorübergingen; und obgleich man von ihnen eigentlich nur die Füße sah, so erkannte sie Martin doch. Denn Martin wohnte schon lange an demselben Ort, und er hatte eine weitläufige Bekanntschaft. Es gab kaum ein Paar Schuhe in der ganzen Umgebung, das nicht schon ein- oder gar zweimal durch seine Hände gegangen wäre. Auf die einen hatte er Sohlen aufgenagelt, auf andere Flicken gesetzt, noch andere zusammengenäht oder auch neue Kappen gemacht. Und so konnte er durch das Fenster oft seine eigene Arbeit wiedererkennen.
Martin war stets ein guter Mensch gewesen. Er arbeitete gut. Er war nicht zu teuer und hielt Wort. Aber mit zunehmendem Alter fing er an, sich mehr und mehr mit Gott zu beschäftigen. Er hatte seine Frau verloren, als er noch als Geselle bei einem Meister arbeitete. Sie hatte ihm einen dreijährigen Knaben hinterlassen. Seine älteren Kinder waren alle schon früher gestorben. Aber kaum war der letzte Junge herangewachsen und fing an, seinem Vater zur Hand zu gehen, als auch er von einer Krankheit befallen wurde, sich niederlegte, eine Woche im Fieber glühte und dann starb. Martin war ganz verzweifelt. Er war so verzweifelt, daß er anfing, gegen Gott zu murren: „Warum tust du das, Gott? Du nimmst mir alle, die ich liebhabe. Jetzt hast du mir das Letzte genommen? Warum tust du das?" Martin war ganz verzweifelt. Er wünschte sich den Tod. Eines Tages bekam er Besuch von einem alten Bauern. Dem klagte er sein Leid: „Alles ist so schwer für mich. Warum tut Gott das nur? Ich wollte, ich wäre tot."
Der alte Bauer schaute ihn an: „Martin, wir haben kein Recht, über Gott zu urteilen. Wenn du an Gott zweifelst, dann kommt das daher, daß du nur an dich denkst, an deine eigene Freude. Du sollst aber an Gott denken. Du sollst für Gott leben. Wenn du für Gott lebst, hast du keinen Kummer mehr. Dann wird alles leicht für dich." Martin schwieg. Dann sprach er: „Wie lebt man für Gott?" „Kauf dir eine Bibel", sprach der Alte. „Lies darin. Dann wirst du es schon erfahren."
Martin sagte nichts mehr. Am nächsten Tag ging er hin und kaufte sich ein Neues Testament. Er begann darin zu lesen. Und was er las, das berührte ihn. Er las immer mehr, jeden Tag, jeden Abend. Es war, als ob eine Stimme zu ihm sprach.
Eines Abends hatte er das Evangelium des Lukas aufgeschlagen. Da fiel sein Auge auf die Worte: Wer dich bittet, dem gib. — Denk nicht an dich selbst, denk an die anderen, die Armen. Martin nahm seine Brille ab und versank in Nachdenken. — Am anderen Morgen vor Tagesanbruch erhob er sich, sprach sein Morgengebet, machte Feuer im Ofen, setzte seine Krautsuppe und die Grütze auf, brachte den Samowar in Gang, band seine Schürze um und setzte sich ans Fenster zu seiner Arbeit.
Draußen ging der Hausknecht vorüber, dann der Wasserträger, dann ein alter Soldat in geflickten Filzstiefeln mit einer Schaufel in der Hand. Martin erkannte ihn an den Filzstiefeln. Der Alte hieß Stepan und wohnte nebenan beim Kaufmann, der ihn aus Gnade und Barmherzigkeit aufgenommen hatte.
Stepan half dem Hausknecht bei seiner Arbeit. Nun fing er an, vor Martins Fenster den Schnee wegzuschaufeln. Martin sah ihm eine Zeitlang zu und ging dann wieder an seine eigene Arbeit. Aber kaum hatte er ein Dutzend Stiche gemacht, da zog es ihn wieder zum Fenster. Wieder schaute er hinaus und sah, daß Stepan die Schaufel an die Mauer gestellt hatte und sich wärmte oder einfach ausruhte. Stepan war ein alter, gebrechlicher Mann, und man sah es ihm an, daß das Schneeschippen über seine Kräfte ging. Da dachte Martin: Soll ich ihm vielleicht Tee geben? Mein Samowar kocht ja schon über! Er steckte die Ahle ein, stand auf, stellte den Samowar auf den Tisch, brühte den Tee auf und klopfte mit dem Finger ans Fenster. Stepan drehte sich um und kam näher. Martin winkte ihm und ging hinauf/ ihm die Tür zu öffnen.
„Komm herein und wärme dich ein bisschen", sagte er, „du frierst doch sicher."
„Gott lohn's dir, mir tun wahrhaftig alle Knochen weh", sagte Stepan und trat ein. Er schüttelte den Schnee ab, wischte sich die Füße, um den Fußboden nicht zu beschmutzen, und taumelte dabei. „Bemüh dich nicht, ich will schon aufwischen. Bei uns ist das mal nicht anders. Komm nur herein, setz dich", sagte Martin. „Da trink Tee." Martin schenkte zwei Gläser ein und schob eins dem Gast hin. Stepan trank sein Glas leer und bedankte sich. Man sah es ihm aber an, daß er gerne noch eins getrunken hätte.
„Trink nur noch", sagte Martin und goss sich und dem Gast ein zweites Glas ein. „Lasse dir’s schmecken! Ich denke, als Jesus auf Erden war, da hat er auch keinen Menschen verschmäht, hat sich auch an die einfachen Leute gehalten. Seine Freunde waren Arbeitsleute wie wir." Stepan kamen die Tränen. Er war ein alter, weichherziger Mann, saß da, hörte zu, und die Tränen flössen ihm übers Gesicht. „Nun, noch ein Gläschen?" fragte Martin. Aber der Alte dankte, schob das Glas zurück und stand auf.
„Ich danke dir, Martin", sagte er, „du hast mich gut bewirtet, hast Leib und Seele gesättigt."
„Komm nur wieder, du bist stets willkommen", sagte Martin. Stepan ging, Martin aber goss den letzten Tee in sein Glas, trank es aus, räumte das Geschirr weg und setzte sich wieder ans Fenster zu seiner Arbeit. Er reparierte einen Absatz. Und er schaute immer wieder zum Fenster hinaus.
Zwei Soldaten gingen vorüber, einer in Kommissstiefeln, der andere in seinen eigenen. Dann kam der Besitzer des Nachbarhauses in blankgeputzten Gummischuhen, dann der Bäcker mit seinem Korb. Alle gingen vorüber, und nun zeigte sich vor dem Fenster eine Frau in Wollstrümpfen und Bauernschuhen. Sie ging am Fenster vorbei und blieb dann an der Hausmauer stehen. Martin schaute hinaus und sah, daß es eine Fremde war. Sie war schlecht gekleidet und hielt ein Kind auf dem Arm. Sie stand an der Mauer mit dem Rücken gegen den Wind und wollte ihr Kind einwickeln, hatte aber nichts Rechtes dazu, denn ihr Kleid war aus Sommerstoff und auch schon sehr abgetragen. Durch das Fenster hörte Martin, wie das Kind schrie und wie die Mutter ihm zuredete. Aber das Kind wollte sich nicht beruhigen. Da ging Martin zur Tür hinaus und die Treppe hinauf und rief: „Heda! Junge Frau!" Die Frau hörte es und drehte sich um. „Was stehst du denn da in der Kälte mit dem Kind? Komm herein, im warmen Zimmer kannst du's besser einwickeln. Hierher!" Die Frau war ganz erstaunt. Sie sah einen alten Mann mit einer Schürze und einer Brille auf der Nase, der rief sie. Aber sie folgte ihm.
Sie gingen die Treppe hinunter und traten ins Zimmer. Der Alte führte die Frau an sein Bett.
„Hier", sagte er, „setz dich näher zum Ofen, junge Frau. Wärme dich und stille dein Kind."
„Ich habe keine Milch mehr in der Brust. Ich habe seit dem Morgen nichts mehr gegessen", sagte die Frau, legte das Kind aber doch an die Brust.
Martin schüttelte den Kopf, ging zum Tisch, nahm eine Schüssel, öffnete die Ofenklappe, goss Suppe in die Schüssel. Dann nahm er den Topf mit Grütze aus dem Ofen, die war aber noch nicht aufgegangen; so nahm er nur die Suppe und stellte sie auf den Tisch. Dann holte er Brot, nahm ein Handtuch vom Nagel und legte es auf den Tisch. „Setz dich, junge Frau", sagte er, „iss. Ich bleibe bei dem Kleinen, ich habe ja auch Kinder gehabt und kann mit ihnen umgehen." Die Frau bekreuzigte sich, setzte sich an den Tisch und fing an zu essen. Martin aber setzte sich auf das Bett zum Kind. Er schnalzte mit der Zunge, doch es ging nicht recht, denn er hatte keine Zähne mehr. Das Kind hörte nicht auf zu schreien. Da kam Martin der Gedanke, dem Kleinen mit dem Finger zu drohen: er hob den Finger in die Höhe, schwenkte ihn und hielt ihn dann dem Kind dicht vor den Mund, zog ihn aber gleich wieder zurück. In den Mund nehmen durfte das Kind den Finger nicht, denn er war ganz schwarz vom Pech. Da guckte das Kind immer auf den hüpfenden Finger und wurde ganz still, schließlich lachte es. Nun freute sich Martin. Die Frau aber aß und erzählte, wer sie sei und woher sie komme.
„Ich bin eine Soldatenfrau", sagte sie, „meinen Mann hat man vor acht Monaten fortgeschickt, und ich habe gar keine Nachricht von ihm. Ich war Köchin, da bekam ich das Kind. Mit dem Kind wollten die Leute mich nicht behalten. Nun bin ich seit drei Monaten ohne Stelle. Alles, was ich besaß, ist draufgegangen; Ich wollte als Amme gehen, keiner nahm mich. — Du bist zu mager, sagten sie. Ich ging zu einer Kaufmannsfrau, bei der wohnt eine Frau aus unserm Dorf. Sie hatte versprochen, mich zu nehmen. Ich dachte, ich könnte nun gleich ganz bei ihr bleiben, aber sie sagte, ich möchte nächste Woche wiederkommen. Und sie wohnt so weit. Ich bin ganz müde geworden, und auch für das Kleine war es eine Qual. Gott sei Dank, daß unsere Wirtin wenigstens Mitleid mit uns hat und uns bei sich wohnen lässt. Sonst wüsste ich gar nicht, wie ich leben sollte." Martin sagte: „Hast du wenigstens warme Kleider?"
„Wo soll ich warme Kleider hernehmen? Gestern habe ich mein letztes Tuch für zwanzig Kopeken verpfändet."
Die Frau ging zum Bett und nahm das Kind auf den Arm, Martin aber stand auf, ging zur Wand, suchte eine Weile herum und brachte endlich eine alte Jacke.
„Da", sagte er, „es ist zwar ein altes Ding, aber das Kind kannst du doch hineinwickeln."
Die Frau sah die Jacke, sah den Alten an, nahm die Jacke und brach in Tränen aus. Martin wandte sich ab, griff unters Bett, zog einen Koffer hervor, wühlte darin herum und setzte sich wieder der Frau gegenüber. Und die Frau sprach:
„Gott lohne dir’s, Großvater! Er hat mich wohl vor dein Fenster geschickt. Sonst wäre mir das Kind erfroren. Als ich aus dem Hause ging, war es warm, und nun ist es mit einem Mal so kalt geworden. Sicher hat er dir befohlen, aus dem Fenster zu schauen und dich meines bitteren Loses zu erbarmen."
Martin lachte auf und sagte: „Er hat es wahrhaftig getan." Dann gab er der Frau ein Zwanzigkopekenstück und begleitete sie hinaus. Die Frau war gegangen, Martin aß seine Krautsuppe, räumte ab und nahm wieder seine Arbeit vor. Aber über der Arbeit vergaß er das Fenster nicht; sobald es da oben dunkel wurde, schaute er gleich hinauf, wer denn da käme. Viele gingen vorüber, Bekannte und Fremde, aber niemand fiel ihm besonders auf.
Und nun sah Martin, wie dicht vor seinem Fenster eine alte Marktfrau stehenblieb. Sie trug einen Korb mit Äpfeln auf dem Arm. Sie hatte nicht mehr viel übrig, sie hatte wohl alles verkauft; über der Schulter trug sie einen Sack mit Spänen. Die hatte sie wohl auf irgendeinem Bauplatz gesammelt. Der Sack schien ihre Schulter sehr zu drücken, sie wollte ihn auf die andere Schulter legen, ließ ihn aber auf das Pflaster fallen, stellte den Korb mit den Äpfeln auf einen Stein und schüttelte die Späne im Sack durch. Während sie nun so den Sack schüttelte, tauchte plötzlich, wer weiß woher, ein Junge mit zerfetzter Mütze auf, nahm einen Apfel aus dem Korb und wollte sich davonmachen. Aber die Alte hatte es bemerkt, drehte sich um und packte den Schlingel am Ärmel. Der Junge strampelte, wollte sich losreißen, die Alte hielt ihn jedoch mit beiden Händen fest, schlug ihm die Mütze vom Kopf und fuhr ihm in die Haare. Der Junge schrie, die Alte schimpfte. Martin ließ sich keine Zeit, die Ahle einzustecken; er warf sie auf den Boden und lief hinaus; auf der Treppe stolperte er sogar und verlor die Brille. Als er auf der Straße war, sah er, wie die Alte den Jungen an den Haaren zauste, schimpfte und drohte, sie werde ihn zur Polizei schleppen. Der Junge suchte sich loszureißen und schrie: „Ich habe den Apfel nicht genommen, warum schlägst du mich, lasse mich los." Martin brachte sie auseinander, fasste den Jungen an der Hand und sagte: „Lasse ihn laufen, Großmutter, vergib ihm um Gottes willen." „Ich will ihm so vergeben, daß er bis zum Frühling daran denken wird! Auf die Polizei bringe ich den Halunken!" Da legte Martin sich aufs Bitten.
„Lasse ihn laufen, Großmutter, er wirds nie mehr tun. Lasse ihn laufen um Gottes willen."
Da ließ die Alte den Jungen los, der Junge wollte sich davonmachen, aber Martin hielt ihn fest.
„Bitte die Großmutter um Vergebung", sagte er. „Und in Zukunft tust du so was nicht wieder! Ich habe gesehen, wie du den Apfel gemaust hast." Der Junge weinte und bat um Verzeihung.
„So ists recht. Und da hast du einen Apfel!" Martin nahm einen Apfel aus dem Korb und gab ihn dem Jungen. „Ich bezahls dir, Großmutter", sagte er zur Alten.
„Du verdirbst den Schlingel bloß", sagte die Alte. „Er hätte einen Denkzettel kriegen müssen, den er noch in einer Woche nicht vergessen hätte."
„Ach, Großmutter, Großmutter", sagte Martin, „so denken wir, aber Gott denkt anders. Wenn der Junge für einen Apfel geprügelt werden soll, was müsste dann uns für unsere Sünden geschehen?" — Da schwieg die Alte.
Und Martin erzählte der Alten das Gleichnis, wie der Herr dem Knecht seine ganze große Schuld erließ und wie der Knecht hinging und seinen Schuldner bedrängte. Die Alte hörte die Geschichte an, und auch der Junge stand dabei und hörte zu. „Gott will, daß wir vergeben", sagte Martin, „sonst wird uns auch nicht vergeben. Allen soll man vergeben, dem Unvernünftigen aber erst recht". Die Alte schüttelte den Kopf und seufzte.
„Das ist schon richtig", sagte sie, „sie treibens aber gar zu toll". „Dann müssen wir Alten sie eines Besseren belehren", sagte Martin. „Das meine ich auch", sagte die Alte. „Ich hatte selbst ihrer sieben, von allen ist nur noch eine Tochter am Leben." Und die Alte erzählte, wo und wie sie bei ihrer Tochter lebe und wieviel Enkelkinder sie habe. „Ja, ja", sagte sie, „ich bin schon so alt und schwach und arbeite immer noch. Es ist nur wegen der Enkelkinder, die sind gar zu lieb. Niemand ist so gut zu mir wie sie. Marischka, die geht überhaupt nicht von meiner Seite. — Liebe Großmutter, Herzensgroßmutter, so geht es den ganzen Tag." Die Alte war weich geworden.
„Na ja, Jugend hat keine Tugend. Mag er in Gottes Namen seines Weges gehen", sagte sie mit einem Blick auf den Jungen. Aber wie sie nun den Sack auf die Schulter nehmen wollte, sprang der Junge herbei und sagte:
„Ich will dir s tragen, Großmutter! Ich hab denselben Weg." Die Alte schüttelte den Kopf und lud dem Jungen den Sack auf. Und so gingen sie nebeneinander die Straße entlang. Die Alte hatte aber vergessen, von Martin das Geld für den Apfel zu verlangen. Martin stand da und blickte ihnen nach und hörte, daß sie immer noch miteinander sprachen.
Als er ihnen so das Geleit gegeben hatte, ging er in seine Wohnung zurück, fand die Brille, die heil geblieben war, auf der Treppe, hob die Ahle auf und machte sich wieder an die Arbeit. Eine Zeitlang arbeitete er noch, dann wurde es 'So dunkel, daß er die Borsten nicht mehr einziehen konnte, und nun sah er auch den Laternenanzünder kommen. — Jetzt muss ich wohl auch Licht machen, dachte er, zündete sein Lämpchen an, hängte es an die Wand und arbeitete weiter. Einen Stiefel machte er ganz fertig; er besah ihn von allen Seiten — die Arbeit war gut. Nun packte er sein Werkzeug zusammen, fegte die Abfälle weg, legte die Borsten, Drähte und Ahlen beiseite, nahm die Lampe, stellte sie auf den Tisch und holte das Evangelium vom Regal. Er wollte das Buch an der Stelle aufschlagen, wo er gestern einen Streifen Saffian als Zeichen eingelegt hatte, aber es öffnete sich an einer anderen Stelle; und Martin las die Stelle:
„Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich beherbergt."
Und unten auf der Seite las er: „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan! Da wusste er, wie man für Gott lebt.
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause