Nun seid ihr alle zu Kindern Gottes geworden, weil ihr durch den Glauben mit Jesus Christus verbunden seid.
Galaterbrief 3,26
Das Spannende an einer Kirchengemeinde ist: Die Vielfalt der Menschen. Ganz unterschiedliche Menschen gehören dazu: Reiche, Arme, Intelligente, weniger Intelligente, Große, Kleine, Dicke, Dünne. Und alle sind sie gleich wertvoll und gleich wichtig. Und meine Erfahrung im Pfarramt sagt mir: Alle Talente, die es gibt, werden auch gebraucht. Wenn eine oder einer fehlt, dann ist das Ganze nicht vollständig.
Paulus ruft dies der jungen Gemeinde in Galatien noch einmal in Erinnerung: Ihr seid eins, ihr gehört zusammen. Und er tut dies mit klaren und schönen Worten, wie es einfach seine Art ist. Ihr gehört zu Christus, denn ihr seid auf seinen Namen getauft. Jetzt ist es nicht mehr wichtig, ob ihr Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen seid: In Jesus Christus seid ihr alle eins.
Für die damalige Zeit waren diese Worte schlicht eine Sensation: Freie und Slaven sind eins? Männer und Frauen sind eins? Alle sind gleich viel wert? Einfache Antwort: Ja!
Morgen Abend werden wir zusammen mit unseren muslimischen Freunden das Fastenbrechen während des Ramadans feiern. Inzwischen sind wir einfach miteinander vertraut. Und ich bin überzeugt davon, dass wir die Worte des Paulus heute ergänzen müssen. Ihr gehört zu Gott, egal wie ihr seinen Namen nennt. Jetzt ist es nicht mehr wichtig, ob ihr Juden oder Christen oder Muslime seid: In Gott seid ihr alle eins. Wenn ich dies als Grundlage unserer Gemeinschaft nehme, dann freuen wir uns weiterhin an unterschiedlichen Traditionen, an verschiedenen leckeren Essensrezepten. Und wir spüren doch, dass wir durch Gott ganz besonders verbunden sind.
Guter Vater!
Ich danke dir für das Geschenk der Gemeinschaft. Amen.
Ein Mädchen mit schwarzen Augen (Helmut Hochrain)
Der Tag war hässlich. Grau, fast lichtlos, mit tief hängenden Regenwolken über der Stadt. Es nieselte.
Im Autobus der Linie 12 herrschte Gedränge. Feuchtigkeit, aus Kleidern aufsteigend, machte die Luft schwer, stickig und dumpf. Das Mädchen hatte schwarze Augen, schwarze Haare und einen dunkel getönten Teint. Es mochte zwölf Jahre alt sein oder darum herum. Es war hübsch.
In einer engen Kurve legte sich der Omnibus unvermutet schräg; die Menschen, die für einen Augenblick keinen Halt fanden, wurden durchgeschüttelt. Plötzlich schrie eine Frau, die neben dem Mädchen stand, gellend: „Sie hat mich gestoßen! Sie hat mich geboxt, das freche Ding, das ausländische." Die Frau war mittleren Alters, sie war gut gekleidet, gepflegt. Eine reife Schönheit. Die Passagiere schauten betreten auf den Boden oder starrten auf die von Feuchtigkeit beschlagenen Fensterscheiben.
„Unerhört ist so etwas!" Die Frau steigerte sich sichtlich in die Wut. „Von diesem Ausländergesindel muss man sich herumschubsen lassen. Fahrer, bitte anhalten! Das Türkenbalg hat kein Recht, anständige Bürger zu belästigen; es soll zu Fuß gehen. Das muss sie dort, wo sie herkommt, auch tun. Fahrer, Sie sollen halten! Ich verlange, daß Sie die unverschämte Ausländergöre von der Weiterfahrt ausschließen." Die Leute neben ihr drehten sich zur Seite, wiesen ihr den Rücken. Die Verlegenheit war offenkundig, aber niemand sagte etwas. Nur das Mädchen setzte zum Sprechen an. Vielleicht wollte es etwas erklären oder sich für den unverschuldeten Anrempler entschuldigen. Doch nach dem ungebändigten Wutausbruch der anderen schwieg es auch. Mit großen, schwarzen Augen voll Angst und Ratlosigkeit starrte es auf die Schreiende.
„Ja, hilft mir denn niemand?" Sie gipfelte in einem unnatürlich hohen Diskant. „Ist eine anständige Frau in diesem Land wehrlos dem Angriff eines hergelaufenen Fratzes ausgesetzt? Fahrer! So halten Sie doch endlich. Sie sollen die Ungezogene hinausweisen." Der Omnibus bremste. Haltestelle. Der Fahrer drehte sich um. Er schob die Dienstmütze in den Nacken, daß sein volles blondes Haar darunter hervorschaute. Er war jung. „Das Mädchen bleibt da", sagte er kurz. „Es ist meine Tochter."
Die Gesichtszüge der Frau schienen sich zu versteinern. Das Wort hatte sie getroffen wie ein Hieb. Sie rang nach Luft, wollte etwas sagen, vielleicht neuerlich schreien, aber die Stimme versagte ihr den Dienst. Aus ihrem Körper schien plötzlich alle Spannung gewichen, erschlafft stand sie einen Augenblick unentschlossen, dann sprang sie in letzter Sekunde, nur einen Augenblick, bevor sich die Türen zischend schlössen, aus dem Autobus.
An der Endhaltestelle, die letzten Passagiere hatten das Fahrzeug verlassen, kam das Mädchen nach vorn zu dem Fahrer. Es deutete einen Knicks an, eine Hand kam zaghaft auf ihn zu. „Danke", sagte es. Mehr brachte es in der Erregung nicht heraus. „Ist schon gut." Der Fahrer nahm ihre Hand. Und dann lachte er sie voll an. „Ich habe tatsächlich eine Tochter. Wirklich", sagte er. „Ihr werdet ungefähr gleichaltrig sein, und sie hat fast so schöne Augen wie du..."