Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.
Psalm 22,3
Ein heftiger Psalm, ein Psalm der Not, ein Psalm des Schreis. Ein Vers vorher steht der Satz, den Jesus am Kreuz sagt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Eine existentiellere Not kann ich mir kaum vorstellen.
Und es gibt diese Not, auch wenn sie zum Glück nicht alle in dieser Wucht trifft. Was mögen wohl die israelischen Geiseln gedacht haben und denken, die von der Hamas gequält, in Tunneln festgehalten und hungrig gelassen wurden und werden? Was mögen die Mädchen und Frauen denken, die eine Vergewaltigung erlebt haben? Was fühlen die Menschen heute, deren Angehörige von einem afghanischen Flüchtling über den Haufen gefahren wurden und die nun einfach darum bangen, dass ihre Liebsten überleben? Ich rufe Tag und Nacht und finde doch keine Ruhe.
Und doch endet die lange und intensive Klage des Psalmbeters in einem mehr als erstaunlichen Satz: „Du hast mich erhört!“ Erst nach einer Zeit der Verzweiflung und des anscheinend ungehörten Flehens, kann der Psalmbeter ein anderes Bild sehen: Ich habe es gar nicht mitbekommen, aber du hast mich die ganze Zeit gehört! Nicht eine Silbe von mir ist verloren gegangen. Und dann bricht es aus ihm heraus „Ich will dich rühmen!“
Ja, es gibt einfach extrem dunkle Zeiten. Manchmal ist die Dunkelheit so mächtig, dass wir keinerlei Licht und Hoffnung erkennen können. Dann scheint es nur noch Verzweiflung und das nahende Ende zu geben. Und dann bleiben nur Klage und Schreien und das Gefühl des Verlorenseins.
Doch vielleicht kann sich in der allerhintersten Ecke unserer Seele dieser kleine Satz mit vier Worten einnisten: „Du hast mich erhört!“
Guter Vater!
Trage ich mich in meinen verzweifelten Momenten. Amen.
Jossel Rackower aus dem Warschauer Ghetto
„Ich bin jetzt 45 Jahre alt, und wenn ich auf die vergangenen Jahre zurückblicke, so kann ich behaupten, soweit ein Mensch überhaupt etwas mit Sicherheit behaupten kann: ich hatte ein herrliches Leben. Mein Leben war einmal vom Glück gesegnet, aber ich wurde nie übermütig.
Ich hatte ein offenes Haus für jeden Bedürftigen, und ich war glücklich, wenn ich einem Menschen gefällig sein konnte. Ich habe Gott in glühender Hingabe gedient, und meine einzige Bitte an ihn war, ich solle ihm dienen dürfen mit dem ganzen Herzen, mit der ganzen Seele und mit der ganzen Kraft. Nach allem, was ich erlebt habe, kann ich nicht behaupten, dass diese Einstellung ganz unverändert geblieben ist. Mit Sicherheit aber kann ich behaupten, dass sich mein Glaube an ihn nicht um ein Haar verändert hat. Früher, als es mir gut ging, war meine Beziehung zu ihm wie zu einem, der mir immer Gnade erwiesen hat und in dessen Schuld ich immer war. Jetzt aber ist es die Beziehung zu einem, der auch mir etwas schuldet. Darum denke ich, ich habe das Recht, ihn zu mahnen: ich fordere nicht wie Hiob, Gott möge mit seinem Finger auf meine Sünde zeigen, damit ich weiß, womit ich die Strafe verdiene. Größere und Bessere sind mit mir der Ansicht, dass es sich bei dem, was jetzt geschieht, nicht mehr um Strafe für Sünden handelt. Es geht etwas ganz Besonderes vor in der Welt - es ist jetzt die Zeit, da der Allmächtige sein Gesicht von den Betenden abwendet. Gott hat sein Gesicht vor der Welt verstellt. Und darum sind die Menschen ihren eigenen wilden Trieben überlassen."
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause