Er wird dir gnädig sein, wenn du rufst. Er wird dir antworten, sobald er’s hört.
Jesaja 30,19
Mit den Kindern der ersten und zweiten Klasse nehme ich gerade das Thema Gebet durch. Ich habe ihnen ein Bild der Klagemauer in Jerusalem gezeigt. Dort gibt es die Tradition, dass Menschen kleine Zettel mit Gebeten in die Ritzen stecken. Von Zeit zu Zeit werde sie rausgeholt und begraben. Also haben die Kinder auch Gebete auf kleine Zettel geschrieben bzw. gemalt und diese wurden dann zur Kirche gebracht und anschließend verbrannt. Ein Kind fragte: Wie kann Gott alle Gebete hören? Ich antwortete: ich weiß es nicht, wie Gott das macht. Aber ich bin sicher, dass er alle Gebete hört.
Diesen Glauben hatte auch Jesaja. Obwohl auch er die Erfahrung gemacht hatte, dass im Leben nicht alles so läuft wie wir es uns wünschen. Und doch hatte ihn sein Glauben nicht verlassen.
Ja, es gehört zu den schwierigen Erfahrungen unseres Lebens, dass Gott oft andere Wege für uns aussucht als die, die wir uns gedacht haben. Wie oft schon habe ich mit ihm gestritten und mich über die anderen Wege beschwert. Und wie oft habe ich im Nachhinein erlebt, dass mir Gottes Wege gut getan haben. So antwortet Gott auf seine Weise und es ist einfach gut, dass wir darauf keinen Einfluss haben.
Ich finde es alleine schon sehr tröstlich, das Gefühl zu haben, dass Gott mich hört, wenn ich rede. Denn dies ist einfach schon großartig. Es gibt so viele Menschen, die keine Zeit haben oder nicht richtig zuhören. Und es gibt auch manches, das ich nur Gott erzählen mag. Und wenn ich dies tue, dann habe ich das Gefühl, dabei schon geborgen zu sein. Und das Gefühl, dass er viel Zeit und Aufmerksamkeit für mich hat.
Guter Vater!
Wie gut, dass ich bei dir Gehör finde. Amen.
Warum ich? (Désirée Schellenberg)
Schweigend saß Stefanie vor Andrea und starrte aus dem Fenster. Der Himmel war Wolken verhangen. Es war ein trüber Tag. Genauso trüb wie ihre, Stefanies Stimmung. ‚Du musst auf Gott vertrauen Stefanie’, sagte Andrea ihre Schwester. Eigentlich waren sie ja nicht richtige Schwestern denn Andreas Eltern hatten Stefanie adoptiert. Während Stefanie den Kopf schüttelte betrachtete sie Andrea. Diese hatte ihr hellbraunes, langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Ihre braunen Augen strahlten nicht wie sonst. Stefanie schüttelte nochmals den Kopf. Tränen liefen ihr über die Wangen. ‚Ich kann das nicht. Und ich will auch nicht’, sagte sie leise. ‚Ich glaube nicht, dass Gott uns hört. Wo war er als ich meine Eltern verloren habe? Und wo ist er jetzt? Vielleicht verstehst du das nicht. Aber ich fühle mich so verlassen.’ ‚Du darfst jetzt nicht aufhören zu vertrauen’, sagte Andrea nochmals eindringlich. Mit einem Ruck stand Stefanie auf. Wütend sah sie Andrea an. ‚Vertrauen, vertrauen. Von dir hört man nichts anderes. Aber das ist gar nicht so einfach meine Liebe. Dir tut das vielleicht nicht weh, weil er nur dein Adoptivbruder ist. Aber es ist mein richtiger Bruder.’ Mit diesen Worten drehte sie sich um und rannte davon. Andrea stand regungslos, mitten im Zimmer. Sie hörte wie unten die Haustür zugeknallt wurde. Auch ihr liefen jetzt Tränen über die Wangen. ‚Doch Stefanie’, flüsterte sie, ‚Es tut mir genau so weh. Er ist auch mein Bruder.’ Heulend warf sie sich aufs Bett. Warum verstand Stefanie sie nie? Warum war das Leben nur so schwer?
Stefanie stürzte aus dem Haus. Die Tür schlug sie hinter sich zu. Sie wollte weg hier. Einfach weg. Sie rannte den Weg entlang, der zu den Klippen führte. Das rosarote Haus (ihr zu Hause) ließ sie hinter sich. Sie rannte weiter, immer weiter. Erst als sie fast keine Luft mehr bekam blieb sie stehen. Sie trat an den Rand der Klippen und sah hinunter. Weit unter sich sah sie das Meer. Genau unterhalb von ihr schlugen die Wellen gegen die Felswand. Stefanie überlegte kurz und trat dann noch näher an den Rand. Ich könnte jetzt hinunterspringen und alles wäre vorbei, schoss es ihr durch den Kopf. Sie blickte nochmals hinunter. Sie könnte springen. Aber sie tat es nicht. Irgend etwas hielt sie zurück. So setzte sie sich hin. Sie zog die Knie an und legte ihre Arme darum. Während der Wind mit ihrem dunkelbraunen, schulterlangen Haar spielte, starrte Stefanie in die Ferne. Sie dachte nach. Warum verstand Andrea sie nicht mehr? Stefanie fühlte sich ihr so fremd. Und wie hatte es nur so weit kommen können? Es war doch alles so schön gewesen. Nachdem Lukas und Livia Eininger, deren leibliche Tochter Andrea und Adoptivtochter Stefanie war, auch noch Mike, Stefanies wirklichen Bruder adoptiert hatten, waren sie eine glückliche Familie gewesen. Mike, Andrea und Stefanie hatten viel zusammen unternommen. An einem Tag waren sie wandern gegangen. Sie hatten einen Berg in der ganz nähe besteigen wollen. So waren sie am Morgen los gezogen. Sie waren gut voran gekommen und hatten nach drei Stunden schon ein recht schönes Stück Weg hinter sich gelassen. Um etwa 12 Uhr hatten sie etwas gegessen. Da der Weg, der weiter führte verschüttet war, hatten Stefanie und Andrea nicht mehr weiter gewollt. Das Klettern wäre zu gefährlich, hatten sie gemeint. Aber Mike hatte unbedingt weiter klettern wollen. Und so war er halt allein gegangen. Stefanie und Andrea hatten es sich gemütlich gemacht und darauf gewartet, dass Mike zurückkehre. Es war so schön still und friedlich gewesen. Doch plötzlich hatte ein fürchterlicher Schrei die Stille durchbrochen. Sie und Andrea waren erschrocken aufgesprungen. ‚Das war Mike’, hatte Andrea fassungslos gestammelt. Dann hatte sie begonnen den Weg, den Mike hochgeklettert war zu besteigen. Stefanie war ihr sofort gefolgt. Sie waren noch nicht allzu weit geklettert, als sie Mike auf dem Boden liegend gefunden hatte. Er musste wohl abgestürzt sein. Andrea hatte sofort kehrt gemacht und gesagt: Ich laufe zurück, so schnell ich kann. Du bleibst hier und passt auf ihn auf. Andrea war so schnell wie sie noch nie in ihrem Leben gerannt war zurück gerannt. Stefanie hatte sich unterdessen Mike genähert. Erschocken war sie neben ihm hingekniet. Mike hatte dagelegen wie Tod. Sein Gesicht schmerzverzerrt. Und plötzlich hatte es auch noch angefangen zu regnen. Stefanie hatte überlegt. Mike hatte nur ein T-Shirt an, das von dem Sturz ganz zerrissen war. Sein Pullover und seine Jacke lagen weiter unten, dort wo sie gegessen hatten. Sollte sie zurücklaufen und sie holen? Aber sie wollte Mike nicht allein lassen. So zog sie kurzerhand ihre Jacke die sie umgebunden hatte und ihren Pullover aus und legte beide Kleidungsstücke über ihn. Sie selbst hatte nur noch ein altes T-Shirt an und fror deshalb. Aber was machte das schon. Hauptsache, Mike ging es bald wieder gut. Sie saß neben ihm und machte sich möglichst klein um sich warm zuhalten. Dann hatte sie gebetet, Gott möge ihr helfen. So hatte sie die ganze Zeit neben Mike gesessen, sich ab und zu das nasse Haar aus dem Gesicht gestrichen und gewartet. Sie hatte da gesessen, bis es dunkel wurde und bis der Rettungsdienst kam. Und nie hatte er seine Augen aufgemacht, sie angesehen und gesagt, es sei alles in Ordnung. So fest sie es sich auch gewünscht hatte.
Sie hatte in dieser und in den folgenden Nächten sehr schlecht geschlafen. Immer wieder hatten sie schreckliche Albträume verfolgt und immer wieder hatte sie diesen fürchterlichen Schrei gehört. Die Ärzte hatten ihnen mitgeteilt, dass es sehr schlecht um Mike stehe. Er war noch immer nicht aus seiner Bewusstlosigkeit aufgewacht und die Chancen, dass er überlebe, stünden sehr schlecht. Sie und Andrea hatten viel gebetet. Doch Stefanie hatte jetzt das Gefühl, dass das gar nichts brachte. Und deswegen hatten sie und Andrea auch vorhin gestritten. Warum passierte immer ihr so schreckliche Dinge? Warum ich, fragte Stefanie sich. Sie blickte in den Himmel. Sie war so verzweifelt. Sie wusste nicht aus noch ein. Sie wollte nicht auch noch Mike verlieren. Stefanie wollte jetzt doch beten. Vielleicht nützt es ja doch etwas, dachte sie. Aber sie brachte es nicht fertig. Sie stand auf und sah zu den Wolken auf. ‚Herr’, flüsterte sie leise. ‚Herr’, sagte sie etwas lauter. Und dann schrie sie: ‚HERR HILF MIR!’ Sie blickte wieder hinunter auf die Wellen die beständig gegen den Felsen schlugen. Und da war ihr, als hörte sie eine Stimme. Die Stimme sprach mit ihr und sie sagte: ‚Mein geliebtes Kind ich habe dich gehört. Geh nach Hause mein Kind.’ Stefanie sah um sich. Da war niemand. Sie blickte zu den Wolken. Und da die Sonne war zwischen den Wolken hervor gekommen. Wie eine goldene Kugel stand sie am Himmel und erhellte das Land. Da wusste Stefanie, Gott hatte zu ihr gesprochen. ‚Ja Herr, ich gehe nach Hause’, sagte sie und drehte sich um. In diesem Moment wurde sie von innerem Frieden erfüllt. Und so rannte sie den Weg den sie gekommen war zurück. Auf halbem Weg entdeckte sie eine Gestalt, die ihr entgegen kam. Stefanie blieb erstaunt stehen. Das war ja Andrea. Andrea musste sie im selben Moment auch entdeckt haben denn auch sie blieb stehen. ‚Mike lebt’, rief sie Stefanie zu. ‚Er ist soeben aufgewacht.’ Das strahlen in Stefanies Augen wurde noch deutlicher sichtbar. Sie rannte weiter auf Andrea zu, die ihr entgegen rannte. Und sie flogen sich direkt in die Arme. ‚Die Ärzte haben vorhin angerufen’, sagte Andrea und drückte Stefanie an sich. Stefanie nickte glücklich. Der Streit war über diese freudige Botschaft vergessen. ‚Und Mike ist wirklich über dem Berg?’, fragte Stefanie und schob Andrea etwas weg, damit sie ihr in die Augen sehen konnte. Andrea nickte und auch ihre Augen strahlten. Da blickte Stefanie nochmals in den Himmel. ‚Danke Herr, ich danke dir.’ ‚Ich auch’, sagte Andrea und nickte dabei. Sie lachte. Die beiden umarmten sich nochmals und lachten während ihnen Freudetränen über die Wangen liefen. ‚Weißt du’, sagte Stefanie. ‚Ich habe heute etwas aus dem Vers: Rufe mich an in der Not und so will ich dich erretten und du sollst mich preisen’, gelernt.
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