Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns. Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will eure Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe euch ins Land Israels.
Hesekiel 37, 11+12
Hesekiel gehört mit zu der Gruppe von Israeliten, die durch den babylonischen König in die Gefangenschaft nach Babylon transportiert werden. Als Priester begleitet er sein Volk in dieser schwierigen Zeit. Er versucht, Trost zu geben, denn die Menschen hatten damals die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder in ihr Land zurückkehren zu können. Ganz im Gegenteil: Sie hatten alle Hoffnung verloren, ihr Leben schien zu Ende zu sein.
Das kennen wir auch aus unserem Leben: Verzweiflung über die eigene Lebenssituation. Und wir kennen das Gefühl, dass alles keinen Sinn mehr macht und vielleicht auch der Gedanke, das Leben sei zu einem Ende gekommen. Solche Momente der Verzweiflung können einen wie tot erscheinen lassen. Alle Kraft scheint weg zu sein, alle Hoffnung scheint verloren zu sein. Eine Zukunft scheint es nicht zu geben.
In solchen Situationen können wir uns nicht selbst helfen, weil einfach keine Kraft mehr da ist. Die Erschöpfung ist einfach zu groß. Deswegen braucht es eine Botschaft von außen. Deswegen braucht es eine Kraft von außen. Deswegen braucht es Menschen und oder auch Gott an unserer Seite.
Hesekiel macht den Menschen damals Mut. Er sagt ihnen: „Es ist nicht vorbei! Es gibt ein Leben, das weitergeht. Auch wenn du das Gefühl hast, du bist vergessen, so bist du doch immer noch in Gottes Herzen.“
Und allen, die gerade am Leben verzweifeln mag auch gesagt sein: „Du bist weiterhin in Gottes Herzen.“
Guter Vater!
Gut, dass du gerade in der Not bei uns bist. Amen.
Das Glück und die Mauer (Claudia Dvoracek-Iby)
Mit Mama und mir, das ist so eine Sache. Mama hat nämlich ein Problem, und ich habe ein Problem mit Mamas Problem. Mama trinkt. Alkohol. Viel Alkohol. Und ich nasche. Schokolade. Viel Schokolade. Mama hat schon immer getrunken, mal mehr, mal weniger - aber in letzter Zeit sehe ich sie eigentlich so gut wie nie nüchtern. Nach außen hin, also vor anderen Leuten, kann sie das jedoch meist gut verbergen. Es ist anstrengend für mich mit Mama. Ehrlich gesagt warte ich insgeheim auf den Tag, wenn ich groß bin und ausziehen kann. Dann braucht Mama sich nicht mehr wegen mir zusammenreißen, nicht mehr heimlich trinken, nicht mehr heimlich weinen. Und ich muss mir das alles nicht mehr ansehen, mir nicht mehr ständig Sorgen um sie machen und darüber nachdenken, warum sie trinkt und ob nicht ich schuld daran bin. Ich bin nämlich auf die Welt gekommen, als ein Kind, also ich, so absolut gar nicht in Mamas Lebenskonzept passte. Damit mich Sorgen und Gedanken dieser Art nicht allzu sehr quälen, habe ich es im Laufe der Zeit geschafft, mir eine Art Schutzmauer aufzubauen. Innen drin. Um mein Herz herum. Ich stelle mir vor, dass es eine hohe Steinmauer ist, mit Efeu und Kletterrosen bedeckt, die sorgenvolle Gedanken abfängt, bevor sie mein Herz erreichen können.
Meine Schutzmauer hat mir auch heute geholfen. Heute ist nämlich mein 12. Geburtstag. Und Mama hat kein Geschenk für mich. Sie hat vergessen, mir etwas zu kaufen. Jedes Kind an meiner Stelle wäre deswegen sicher sehr traurig. Mir aber ist das mehr oder weniger egal. Ehrlich. Meine Schutzmauer hält auch Enttäuschungen von mir fern. Und Süßigkeiten helfen ebenfalls. Schokolade tröstet tatsächlich. Leider macht sie auch dick. Natürlich hat Mama ein schlechtes Gewissen, weil sie kein Geschenk für mich hat. Noch dazu ist heute Sonntag und die Geschäfte haben geschlossen. Aber dann, nach zwei Flaschen Wein, schenkt mir Mama doch noch etwas, und zwar etwas echt Großartiges, etwas, das ich mir schon ewig wünsche. Sie schenkt mir das Versprechen, dass ich mir einen Hund aus dem Tierheim aussuchen darf. Morgen Vormittag.
Und Mama hält tatsächlich ihr Wort. Obwohl sie verkatert und zittrig ist, ruft sie tatsächlich gleich nach dem Frühstück ein Taxi und fährt mit mir zum Tierheim. Auf einem Plakat im Eingangsbereich lese ich einen Spruch:
‚Wer sagt, Glück kann man nicht anfassen, hat noch nie ein Tier gestreichelt‘.
Dieser Satz klingt in mir, er fliegt über meine innere Mauer und legt sich direkt in mein Herz, während ich vorsichtig das erste Mal den breiten Kopf einer Hündin namens Zora berühre. Ja, der Spruch ist wahr, denn ich spüre es förmlich, das Glück, als ich Zora streichle, spüre, wie es warm durch mich rieselt. Das Glück macht, dass sich meine Mauer sogar sekundenlang in Nichts auflöst, als Zora mich mit ihren braunen Augen ansieht und lächelt. Ja, sie kann lächeln. Auch die Tierpflegerin, die Mama und mir den Zwinger aufgesperrt hat, lächelt, und als Zora dann meine Hände abschleckt, lacht sie und sagt:
„Sie mag dich. Ich lasse euch mal für zehn Minuten allein, damit ihr euch in Ruhe beschnuppern könnt.“
Sie nickt uns zu und schließt die Zwingertür hinter sich. Mama trippelt unruhig neben Zora und mir auf und ab.
„Nora“, sagt sie, „bitte nimm nicht diese Bulldogge! Die Leute werden sich lustig machen, wenn sie euch zusammen sehen.“
Ich weiß genau, was Mama meint. Und auch, dass sie recht damit hat. Es ist nämlich so: Wäre Zora ein Mensch, würde sie aussehen wie ich. Und umgekehrt, ich als Hund wäre eine Englische Bulldogge wie sie. Und diese offensichtliche Ähnlichkeit zwischen uns wird natürlich belustigend auf so manche wirken. Doch ich bin sowieso von klein auf schiefe Blicke und Hänseleien, mein Äußeres betreffend, gewohnt. Diese Reaktionen aufgrund meines Aussehens sind der zweite Grund, warum ich meine innere Schutzmauer brauche.
Kurz werde ich wütend und traurig zugleich, aber dann muss ich lachen, weil Zora ihren Kopf schieflegt und Mama fassungslos ansieht, als ob sie jedes Wort verstanden hätte.
Ich sage: „Ach, Mama, sie lachen doch sowieso über mich.“
Darauf sagt Mama nichts mehr. Sie sieht nervös aus dem Fenster des Zwingers zum Gang, vergewissert sich, dass keiner der Tierpfleger hersieht, und trinkt hastig aus ihrem Flachmann. Dann seufzt sie nochmals tief und streichelt Zora und auch mir kurz über den Kopf.
Wir machen dann gemeinsam mit der Pflegerin einen langen Spaziergang mit Zora außerhalb des Tierheimgeländes, was problemlos und wunderbar funktioniert. Die Leute, denen wir begegnen, schmunzeln, als sie mich und Zora sehen, aber das dringt nicht zu mir durch. Auf meine Mauer ist Verlass.
Nach ausführlichen Anweisungen über eine optimale Hunde-Betreuung, die Mama nur mit heimlicher Hilfe ihres Flachmanns übersteht, dürfen wir Zora nach Hause nehmen. Zur Probe für eine Woche. Für mich ist allerdings längst klar, dass sie für immer bei mir bleiben wird.
Zuhause betrachte ich Zora und mich in einem Ganzkörperspiegel und muss lachen. Ich kann verstehen, dass sich alle bei unserem Anblick amüsieren. Die Ähnlichkeit zwischen uns ist echt unglaublich. Wir sind beide klein, dick und stämmig, haben runde Gesichter mit eingedrückten Nasen, und kurzes, hellbraunes Haar beziehungsweise Fell. Unser auffälligstes gemeinsames Merkmal aber ist der Unterbiss, was bedeutet, dass sich die untere Zahnreihe über die obere schiebt. In meinem Fall könnte man dies sicherlich mit Hilfe einer Zahnspange korrigieren. Es gäbe sogar einen Zahnarzt in der Nähe. Er wohnt in einem dieser prachtvollen Häuser ganz oben am Ende unserer Straße, eine seiner Töchter ist in meinem Alter. Mama aber meint, ihr fehle das Geld für eine Zahnspange.
Ich bücke mich, kraule Zora zwischen den Ohren und flüstere: „Wir sind super, so wie wir sind.“ Und Zora wedelt und schmiegt ihren massigen Körper an meine dicken Unterschenkel.
„Wir gehen eine Runde, Mama“, rufe ich dann, und nehme Zora an die Leine. Mama kommt langsam aus der Küche. Leicht wankend lehnt sie sich an den Türstock. Sie hat rote Flecken im Gesicht, die bekommt sie immer vom Rotwein, ihre Augen sind verquollen. Es tut weh und macht wütend, sie so zu sehen. Ich möchte so schnell wie möglich hinaus, möchte weg von ihr.
Draußen trottet Zora brav neben mir her. Ich genieße es, mit ihr zusammen zu gehen. Jonas und Alex, die dieselbe Klasse wie ich besuchen, spielen Fußball im Hof unseres Gemeindebaus. Als sie Zora und mich sehen, prusten sie natürlich sofort los.
„Einfach ignorieren, Zora“, flüstere ich und tätschle ihren Rücken. Sie murrt zufrieden.
Wir spazieren die Straße entlang, als uns ein schlankes, blondes Mädchen mit einem kleinen Hund, einem Malteser, entgegenkommt. Ich erkenne das Mädchen, es ist die Zahnarzttochter. Ich weiß, dass sie Kim heißt, natürlich ins Gymnasium geht, eine ältere Schwester hat, und dass ihre Mutter eine bekannte Pianistin ist. Erst kürzlich war ein Konzert mit ihr im Fernsehen.
Schnell ziehe ich an Zoras Leine. Ich möchte mit ihr auf die andere Straßenseite.
Erstens, weil Zora sich ja ganz langsam an die neue Umgebung und andere Hunde gewöhnen soll. Und zweitens, weil ich noch nie mit dieser bestimmt voll arroganten Kim geredet habe und dies auch nicht vorhabe.
Doch bevor wir die Straßenseite wechseln können, reißt sich der Malteser los und läuft mit wehenden Ohren, die Leine hinter sich am Boden schleifend, zu uns. Zora bleibt wie angewurzelt stehen. Das weiße Hündchen wedelt freudig und beschnüffelt Zora, die sich ebenfalls interessiert verhält.
Kim ist ihrem Hund hinterhergelaufen und steht nun vor mir. Sie ist sehr hübsch, ihre grünen Augen strahlen, ihr langes, seidiges Haar glänzt.
„Sorry, ich konnte Nicky nicht mehr zurückhalten“, sagt sie.
„Kein Problem“, sage ich. „Sie vertragen sich ja.“
„Ja, sogar sehr gut.“ Kim betrachtet lächelnd die Hunde. „Wollen wir ein Stück gemeinsam gehen?“
Ich nicke zögernd. Anfangs reden wir nichts miteinander, aber das Schweigen zwischen uns ist nicht unangenehm. Ein paarmal müssen wir lachen, weil Nicky ständig begeistert um Zora herumtänzelt und sich dann ihre Leinen verheddern.
„Du“, sagt Kim dann. „Du gehst doch in die Mittelschule ums Eck. Wie ist es denn da so?“
Warum will sie das wissen? Misstrauisch blicke ich sie an.
„Geht so“, antworte ich knapp.
„Ich gehe nämlich ab September auch dorthin. Ich schaffe das Gymnasium nicht mehr, und schätze mal, dass wir in dieselbe Klasse kommen. In die Fünfte“, sagt Kim.
„Ja, so ist es“, sage ich etwas erstaunt.
„Es ist wegen meiner Mutter“, platzt dann Kim plötzlich heraus. „Ich konnte nicht mehr lernen wegen ihr, mir war die Schule - mir war einfach alles egal. Sie hat sich nämlich in einen Kollegen verknallt, einen Musiker, und ist zu ihm nach Berlin gezogen. Ich könnte auch dorthin, also zu ihnen nach Berlin, aber das mache ich nicht, ich kann diesen Typ nicht ausstehen. Ich bleibe bei Papa.“
„Das ist bestimmt nicht einfach für dich, das alles“, sage ich.
„Nö“ sagt sie. „Ist es nicht. Das ist einfach nur scheiße.“ Sie blickt angestrengt nach vorne.
„Das erzähle ich übrigens nicht jedem“, sagt sie dann. „Genau genommen bist du die erste. Letzte Woche ist auch noch meine Schwester zu ihrem Freund gezogen. Papa möchte gerne eine Austauschschülerin für ein Jahr bei uns aufnehmen, damit ich nicht so allein bin. Aber ich weiß nicht so recht. Was, wenn ich mich mit der nicht verstehe? – Aber erzähl du jetzt, wie ist es bei dir so? Du lebst allein mit deiner Mutter, oder?“
„Ja“, sage ich. „Vater unbekannt, steht in meiner Geburtsurkunde. Und Mama, naja, sie ist da und auch wieder nicht da.“
„Wie meinst du das?“
Ich tue, als ob ich eine Flasche zum Mund führen würde und mache: „Gluck, gluck, gluck.“
„Echt jetzt?“, fragt Kim entsetzt.
Ich nicke. „Mama trinkt. Du bist übrigens auch die erste, der ich das sage. Erzähle es bitte nicht weiter.“
„Logo“, sagt Kim. Dann schüttelt sie den Kopf und seufzt: „Ach, diese Mütter!“
Wir müssen lachen. Und auch, wenn unser Lachen ein wenig traurig klingt, es ist ein Lachen und es verbindet uns, unser trauriges Lachen.
„Du, ich muss jetzt nach Hause“, sagt Kim dann. „Gehen wir morgen wieder gemeinsam mit unseren Hunden spazieren?“
„Logo“, sage ich. Die Wörter, die Kim verwendet hat, schweben federleicht über meine innere Mauer direkt in mein Herz: Wir. Gemeinsam. Unsere Hunde.
Am nächsten Tag sitzen Kim und ich auf einer Bank in der Hundezone und sehen zufrieden unseren Hunden beim Spielen und Herumtollen zu.
„Ich kann es mir gar nicht mehr ohne Zora vorstellen“, sage ich zu Kim, „dabei habe sie erst so kurze Zeit. Vorgestern, zu meinem Geburtstag...“
„Vorgestern, sagst du?“ unterbricht mich Kim. „Da war auch mein Geburtstag!“
„Krasser Zufall“, rufe ich.
„Nein, kein Zufall“, sagt Kim. „Das ist Schicksal! Cool, ich habe mir schon immer einen Zwilling gewünscht.“
„Tja“, sage ich, „und wir sehen noch dazu tatsächlich wie eineiige Zwillinge aus.“
Wir lachen und können gar nicht aufhören damit. Kims Lachen ist ein gutes Lachen ohne jede Spur von Gemeinheit. Ich habe sie völlig falsch eingeschätzt, denke ich wieder. Sie ist überhaupt nicht arrogant. Ich mag sie. Sehr. Und wieder spüre ich das Glück durch mich strömen, es dringt durch sämtliche Ritzen meiner Schutzmauer in mein Innerstes.
Umso schlimmer trifft mich dann, was am Morgen des Tages darauf geschieht. Mama sieht schrecklich aus, als ich sie in der Früh sehe. Ihr Gesicht ist verquollen und verweint, offensichtlich hat sie die ganze Nacht durchgetrunken.
„Nora“, lallt sie, „es tut mir so leid, ich kann nicht mehr…“
Und was sie dann alles sagt, ist so schlimm, dass ich sprachlos bin. Noch dazu ist durch das Glück der letzten Tage mit Zora und Kim meine Schutzmauer kaum mehr vorhanden. Nur mehr Bruchstücke davon, die sich nun mit Mamas furchtbaren Worten in mein Herz bohren.
Stumm ziehe ich meine Schuhe an, nehme Zora an die Leine, knalle die Tür hinter uns zu, laufe mit Zora zur Hundezone und warte dort auf Kim, mühsam die Tränen zurückhaltend. Da kommt sie endlich, strahlend wie immer. Nicky begrüßt freudig bellend Zora.
Als Kim mich ansieht, fragt sie sofort: „Was ist los, Nora, was ist passiert?“
Ich ringe nach den richtigen Worten, aber bevor ich zu reden beginnen kann, fahren Alex und Jonas mit ihren Fahrrädern an uns vorbei.
„Ah, die Schöne und das Biest“, lacht Jonas und zeigt auf Kim und mich.
Und Alex deutet auf die Hunde und ruft: „Und zwar in doppelter Ausführung.“
Keine Schutzmauer in mir, die vorhin Mamas schreckliche Worte und nun die der Jungs abfängt. Ich muss so heftig weinen, dass ich kaum Luft bekomme, verstecke mein Gesicht in meinen Händen. Kim umarmt mich fest und liebevoll, hält mich, sagt wütend:
„Diese Idioten! Gehen die in unsere Klasse?“
Ich nicke schluchzend.
„Na, die werden mich kennenlernen!“
Eine weiche Hundeschnauze presst sich an meine Knie. Zora ist zu mir gelaufen und winselt herzzerreißend. Ich streichle sie tränenblind: „Ach, Kim, ich weine doch nicht wegen denen.“
„Sag mir bitte, was passiert ist, Nora!“
„Mama,“ weine ich, „Mama geht es ganz schlecht. Sie wird ab Montag in einer Klinik sein. Auf Alkoholentzug. Das ist auch gut so. Ich habe es kaum mehr ausgehalten mit ihr. Aber ich, ich soll in dieser Zeit bei einer Tante in Wien wohnen. Und Zora muss wieder zurück ins Tierheim.“
Kim ist ganz still.
„Nein“, sagt sie dann. „Auf keinen Fall. Du darfst nicht weg. Und Zora auf keinen Fall wieder ins Tierheim. Nora, bitte ziehe mit Zora zu mir, Nicky und Papa, bis es deiner Mama wieder gut geht. Wir verstehen uns doch so gut. Papa ist garantiert einverstanden. Du wohnst bei uns - anstatt einer Austauschschülerin, verstehst du?“
Ich bin so verblüfft, dass ich zu weinen aufhöre.
„Meinst du das ernst?“ schniefe ich.
„Na hör mal, ich erzähle doch meiner Zwillingsfreundin keine Märchen“, sagt sie. „Komm, wir gehen jetzt gleich zu Papa und reden mit ihm. Und dann mit ihm gemeinsam mit deiner Mama. Bitte, Nora, sag ja!“
Ich sehe Kim an und spüre, dass sie jedes Wort ernst meint, sehe zu Zora, die nun entspannt neben Nicky im Gras liegt. Ich hole tief Luft.
„Ja“, sage ich.
Mama ist nun die vierte Woche in der Klinik. Es geht ihr viel besser, seitdem sie nichts mehr trinkt. Sie ist ausgeglichener und liebevoll zu mir. Ich besuche sie oft und erzähle ihr, von Zora, Kim und ihrem Papa. Kims Papa sagt oft, wie schön er es findet, dass Zora und ich nun eine Zeitlang bei ihnen wohnen, und dass Kim seitdem wieder fröhlich ist. Die Schule hat inzwischen auch wieder begonnen. Natürlich sitzen Kim und ich zusammen. Wir helfen uns gegenseitig. Für Kim ist ja alles neu, Schule, Lehrer, MitschülerInnen. Da ist es echt mehr als super, eine Zwillingsfreundin wie mich zu haben, sagt sie immer wieder. Und Kim lässt nicht zu, dass ich gehänselt werde – was aber nun kaum mehr der Fall ist. Vielleicht auch deswegen, weil ich abgenommen habe. Schon fünf Kilo. Ich nasche eben nicht mehr so viel, bin lieber mit Kim und unseren Hunden unterwegs. Ja, und seit zwei Wochen trage ich eine Zahnspange. Mama hatte sich nicht richtig informiert, für Kinder-Zahnspangen übernimmt die Krankenkasse die Kosten.
Und noch etwas hat sich verändert. Ich habe mir keine neue innere Schutzmauer mehr aufgebaut. Es ist nämlich so: Das Glück braucht sehr viel Platz, es möchte sich weit ausbreiten in mir. Und da würde eine Mauer doch ziemlich stören dabei.
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Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
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