Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig!
Offenbarung 15,4
Wer sonntags den Gottesdienst besucht, wird ein merkwürdiges Phänomen feststellen können. Meistens sind die ersten Reihen recht leer. Die Menschen setzen sich weiter nach hinten. Dabei ist es ja beim Gottesdienst nicht so wie bei Künstlerauftritten. Da muss man ja vorne manchmal die Sorge habe, auf die Bühne geholt zu werden oder vielleicht nass zu werden. Warum werden die ersten Reihen gemieden? Ist es die Angst vor dem Heiligen? (Wobei jetzt nicht die PfarrerInnen und die PrädikantInnen gemeint sind 😉)
Aber vielleicht ist am Stichwort der Furcht doch ein wenig dran. Die Bibel berichtet von zwei Arten von Furcht, mit der Menschen dem Göttlichen begegnen: Ehrfurcht und richtige Angst. Die Ehrfurcht kann ich gut verstehen. Denn der Unterschied zwischen Gott und den Menschen ist einfach absolut riesig. Vielleicht auch daher Angst. Und es mag auch Situationen eben, in denen ich wegen meines schlechten Verhaltens Angst habe. Vielleicht rechne ich mit dem Missfallen Gottes. Vielleicht sogar mit einer Strafe?
Die Tageslosung aber bringt Spannendes zusammen. Sie verbindet die Stichworte der Furcht und der Ehrfurcht mit dem Stichwort des Dankes. Und ich finde, dies passt auch sehr gut. Man kann durchaus von der Größe und Macht Gottes beeindruckt sein und ihm gleichzeitig danken. De Bibel berichtet häufig davon, dass die Menschen erstaunt sind, wenn sie Jesus und seinem Handeln begegnen. Teilweise entsetzen sie sich sogar, wenn sie zum Beispiel einem Wunder beiwohnen. „Wer ist der, dass er eine solche Vollmacht hat und so etwas bewirken kann.“ Und dieses Staunen, dieses Feststelen der absoluten Andersartigkeit Gottes, das gibt es bis heute.
Guter Vater!
Danke, dass wir dir wichtig sind, obwohl du unvergleichlich bist. Amen.
Ehrfurcht vor dem Leben (Alina Michall)
Sie saß da, auf dieser schlichten Bank aus Holz, und ihr Blick war gen Himmel gerichtet. Hinauf zu dem glitzernden Sternenmeer, hinter dem sich die unendliche Weite des Alls erstreckte. Knisternd stoben Funken auf, hinaufgeschickt von dem flackernden Lagerfeuer, dessen Licht sie aus dem Augenwinkel wahrnahm.
Sie war nicht allein. Um sich herum konnte sie Geräusche vernehmen – da ein Gespräch, das Rascheln von Stoff, hier ein leises Lachen. Langsam senkte sie den Kopf, riss sich los von der Ferne und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Realität, die sie umgab. Ihr Blick wanderte über die ungleiche Gruppe, die es um das Feuer versammelt hatte – namenlose Gesichter, die an diesem kühlen Frühlingstag doch alle demselben Bedürfnis nach Wärme und Licht gefolgt waren.
Da war ein Greis, in grobe Leinen gekleidet, auf dessen Knien ein kleines Mädchen Platz genommen hatte. Der Alte gleich einem Felsen – rau und beständig geworden durch die fortwährende Einwirkung der Zeit –, die Kleine voller Neugier und Unschuld. Da war eine Frau, ihre Haut so dunkel, dass sie einen Großteil jener Flammen schluckte, die das Gesicht ihres Nebenmannes hell erstrahlen ließen. Ihre Haare in Kordeln zu einem Zopf gedreht, seine blonden Strähnen sanft im Wind wehend. Sie voller Erlebnisse, er voller Abenteuerlust.
Da war auch eine Mutter, die einen Säugling in ihren Armen trug, da war ein junger Mann, dessen aufgerichtete Haare in grellem Blau schimmerten, während die Nieten an seinen Handschuhen im Schein des Feuers blitzten, und da war eine Frau – in Bluse und langem Rock, mit einem handgewebten Tuch um die Schultern stand sie da, als gehöre sie nicht zu diesem Jahrhundert.
Einer von ihnen – niemand hätte im Nachhinein sagen können, um wen es sich handelte – stimmte eine Melodie an. Leicht und schwebend verbreiteten sich die Töne, wurden von vielen Kehlen aufgenommen und intensiviert. Die Atmosphäre hatte etwas Unwirkliches, einem Traum gleichendes. Sie ließ die Grenzen verschwimmen, schien gleichermaßen einzuschläfern wie auch die Augen zu öffnen. Selbst das kleine Mädchen auf dem Schoße ihres Großvaters, selbst der Säugling, der friedlich an der Brust seiner Mutter lag, sie alle schwiegen ehrfurchtsvoll, als spürten sie die Magie in der Luft.
Und auf einmal war es, als gäbe es überhaupt keine Unterschiede zwischen ihnen, als wären sie ein und dasselbe. Jeder von ihnen trug den Klang, den sie verbreiteten, gleichermaßen, war ein ebenbürtiger Teil des Ganzen. So sehr sie alle in ihrem Alltag darauf konzentriert sein mochten, sich gegen jene Dinge zu wenden, die sie störten, statt für die Dinge einzutreten, die ihnen wichtig waren … in diesem Moment gab es kein gegen mehr.
Plötzlich fragte man sich zum ersten Mal, warum man seinen Nachbarn seit Jahren nicht mehr ansah – bloß eines Streites wegen doch eigentlich. Aber war er nicht auch nur einer wie sie?
Wir alle wissen, dass man nicht derselben Meinung sein muss, um einander zu respektieren. Warum fällt es manchmal dennoch so schwer? So schwer, die Andersartigkeit unserer Mitmenschen anzuerkennen? Die Antwort ist leicht, denn wie es scheint, fürchten Menschen kaum etwas mehr als die Veränderung. Wenn sie also glauben, jemand würde ihre Sicherheit bedrohen, so grenzen sie sich ab. Was schließlich könnte wichtiger sein als der Schutz ihrer eigenen Dinge? Das Höchste, so sagte Goethe einst, wozu der Mensch gelangen könne, sei das Erstaunen. Er bewies damit eine verblüffende Demut vor dem Leben und seinen Wundern. Wo ist diese Einfachheit heute? Wann haben wir damit angefangen, die schlichten Dinge im Leben als unwichtig und wertlos abzuschreiben? Wenn jemand in jenem Augenblick in die Augen des kleinen Mädchens sah, dann konnte er eine tiefe Ehrfurcht darin leuchten sehen – die Ehrfurcht vor dem Leben an sich, und zwar vor jedem Leben. Doch nicht nur in ihren Augen, nein, auch in den Blicken der Erwachsenen spiegelte sich ein vorsichtiges Erkennen, wie eine ferne Erinnerung. Das Lied dauerte weiter an, umhüllte sie alle mit einer Decke der Verbundenheit. Niemand hatte Angst vor dem, was geschehen könnte. Niemand hatte Angst, dass die Vergangenheit ihn einholte. Es war, als gäbe es nur diesen Moment.
Ganz langsam schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Und während sie so dasaß, den grenzenlosen Himmel über sich und das Lied der Einheit in ihrem Herzen, da hatte sie auf einmal das Gefühl, den Zusammenhang zu begreifen zwischen der kleinen Gruppe, die sich um das Lagerfeuer versammelt hatte, und dem großen Gesamtbild, in das sie sich fügte.
Alles ist verbunden zu einem unendlichen Kreis, ohne einen Anfang und ohne ein Ende. Was auch geschieht, sei es in der Vergangenheit, dem Jetzt, oder der Zukunft – es ist ein ständiger Wandel. Und letztlich, so scheint es, gibt es nur eine einzige Tatsche, die sich niemals ändert: nämlich jene, dass sich alles ständig ändert.
www. alinamichall.de/das_schreiben/kleine-schreibprojekte/ehrfurcht-vor-dem-leben/
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause