Predigt am 1. Weihnachtstag über Titus 3, 4-7
(25.12.2025; Auferstehungskirche, Thema: Gott ist (m)ein Menschenfreund)
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde!
Der Predigttext für den heutigen Gottesdienst steht in Titus 3 die Verse 4-7:
Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig – nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit – durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.
Wir haben es geschafft. Der Heilige Abend liegt hinter uns. Manche von uns werden froh sein, dass es gut gegangen ist, dass die anderen sich über die Geschenke gefreut haben, dass der Abend friedlich und ohne Konflikte verlaufen ist. Andere sitzen heute morgen aber vielleicht auch müde und abgekämpft hier im Gottesdienst. Es ist immer so viel zu tun vor Weihnachten und beinahe unmöglich, den vielen unterschiedlichen Erwartungen von Familienangehörigen, Freunden, Kollegen gerecht zu werden. Jedes Jahr hören wir, dass wir uns in der Advents- und Weihnachtszeit besinnen und innehalten sollen. Und doch bleibt das jedes Jahr für die meisten von uns ein schöner Vorsatz, den wir kaum in der Lage sind umzusetzen.
Und dann dieser fröhliche Predigttext, der von Freundlichkeit, Zuwendung, Menschenliebe, Seligkeit und der Erneuerung des Lebens spricht! Der Hymnus aus dem Titusbrief spannt einen ziemlichen Gegensatz zu der Stimmung auf, die ich eben skizziert habe. Alles scheint in unserem Text leicht und selbstverständlich, hell und licht-durchflutet, erholsam und lebensdienlich zu sein. Wer sehnte sich nicht nach so viel Freundlichkeit, Entlastung und Erquickung an Weihnachten!
Der Text aus dem Titusbrief ist eine hymnische Bekenntnisformel, die der Autor übernommen hat und zum Weitererzählen und Weitersingen weitergibt. Das Hymnische wird schon allein daran deutlich, dass unser ganzer Predigttext aus vier Versen, aber nur einem einzigen Satz besteht! Die Begeisterung über die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes ist so groß, dass der Autor keinen Punkt machen kann, dass sie immer wieder neu be- und umschrieben werden muss.
An Weihnachten wird das offenbar, was der Hymnus mit so viel Fröhlichkeit und Zuversicht besingt. An Weihnachten feiern wir Gott als großen Menschenfreund. An Weihnachten feiern wir, dass Gott Mensch wird, dass Gott sich uns zuwendet und einer von uns wird. Gott lebt und fühlt da, wo Menschen leben und fühlen.
Und er hat uns im Leben Jesu gezeigt, dass ein anderer Geist möglich ist als der, der oft unter uns herrscht. In Jesus ist uns die Menschenfreundlichkeit Gottes erschienen. In Jesu Leben, seinen Heilungen, seiner Zuwendung zu den Sündern und den am Rand Stehenden hat sich Gottes Menschenliebe gezeigt.
Jesus verkündet mit einem ungeheuren Selbstbewusstsein den Anbruch des Reiches Gottes, er kehrt die gängigen Verhältnisse um und preist die geistig Armen selig und verspricht den Leidtragenden Trost. Er verheißt nicht den Rücksichtslosen, sondern den Sanftmütigen den Besitz des Erdreiches und denen, die sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen, Seligkeit und Fülle.
An Weihnachten feiern wir die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes. Was fallen uns für Geschichten zu dieser Freundlichkeit ein?
Ich will Ihnen eine Erfahrung von mir erzählen, eine Erfahrung, die ich vor Kurzem mit meiner Krankengymnastin hatte. Ich hatte sie angerufen, da ich früher kommen wollte, weil ich im Anschluss eine Beerdigung auf dem Hauptfriedhof hatte. Statt um 8.00 Uhr war ich schon um 7.30 Uhr dran. Anstelle anstrengender Übungen zur Stärkung der Muskulatur gab es diesmal ein Verwöhnungsprogramm: Massage zum Entspannen. Besonders mein Nacken hatte mir zu schaffen gemacht. Mir ging grad so viel durch den Kopf. Die Last des Lebens hatte sich auf meine Seele gelegt und bedrückte mich. Ich machte mir Gedanken, die man nicht einfach so erzählt, jedenfalls nicht bei der Krankengymnastik. Gedanken, die man hinter Stirn und Augenlidern verborgen halten kann – wie ich glaubte. Ich dachte an viele Menschen, denen ich begegnet war. Menschen, die ich im Leid und im Sterben begleitet hatte. Am Schluss unserer Zeit stand meine Krankengymnastin da und schaute mich an – freundlich, fast ein wenig liebevoll. Sie muss an meinem Gesicht abgelesen haben, dass ich Zuspruch brauchte. Und sie gab ihn mir: „Keine Sorge!“, sagte sie. „Alles wird gut“.
Ich hatte damit gar nicht gerechnet. Zwar habe ich meine Krankengymnastin immer schon als eine ausgesprochen tolle Frau erlebt. Wir erzählen uns auch private Dinge. Aber dass sie an diesem Morgen meine Gedanken erspüren konnte, das hatte ich nicht erwartet. Und ich spürte, wie ihre Massage mir gut tat. Aber noch mehr erreichten mich die kleinen Worte „Keine Sorge. Alles wird gut!“ Diese Worte drangen tief in mich ein, wärmten mich und trösteten mich.
Ich vermute, viele von uns sehnen sich nach einer solcher mitfühlenden Freundlichkeit, nach einem solch genauen Wahrgenommenwerden, einer solch behutsamen Zuwendung, die quasi „nebenbei“ und wie von selbst erfolgt und unser Leben erleichtert, es hell macht, mit Freude erfüllt. Wir werden durch solche Erfahrungen selbst zu Menschenfreunden. Auf jeden Fall helfen sie uns, in ähnlicher Weise für andere offen zu sein und das Licht, das wir empfangen haben, weiterzugeben und zu verbreiten.
An Weihnachten feiern wir Gottes Gegenwart, seine heilende und heilsame Nähe, die Menschenliebe und Freundlichkeit in unsere Welt bringt. Und die haben wir bitter nötig. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber die Nachrichten der letzten Wochen und Monate hatten so viel Dunkles, so viel Beklemmendes, so viel Erschütterndes, das es mir nicht immer leicht fiel, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. Der eine oder die andere unter uns mag darüber hinaus auch durch ganz persönliche Krisen gehen – wenn man im Beruf angefeindet wird oder nicht weiß, wie man die ganzen Anforderungen im Studium bewältigen soll. Oder wenn die Partnerschaft, die lange so gut war, plötzlich mühsam wird und man die Leichtigkeit der Liebe schmerzlich vermisst. Oder wenn man sich ganz existentiell um seine Gesundheit oder die anderer Sorgen macht und man sich fragt, wie es weitergehen soll. Die Unsicherheit und Ungewissheit der Zukunft liegen dann wie ein dunkler Schatten über uns. Die Last des Lebens legt sich auf die Seele. Sie macht es schwer, in die hellen Lieder von Weihnachten, in den fröhlichen und leichten Ton unseres Predigttextes einzustimmen.
Weihnachten macht uns dünnhäutig und verletzlich. Das liegt an unseren Weihnachtserfahrungen und -erinnerungen, an unseren Sehnsüchten und Hoffnungen, die in dieser Zeit besonders deutlich in unser Bewusstsein drängen. Es liegt aber auch an der Weihnachtsgeschichte selbst. Die Geburt des Kindes in einem kalten und schmutzigen Stall, die riskante Flucht der Eltern, die schlimmen und lebensbedrohlichen Lebensumstände des neugeborenen Kindes machen allzu deutlich, wie gefährdet die Weihnachtsbotschaft ist. Um ein Haar und Jesus hätte seine ersten Lebenswochen nicht überlebt. Weihnachten ist nicht nur „süßer die Glocken nie klingen“, sondern geht mitten in die Dunkelheit und den Schmerz des Lebens hinein.
Gott kommt in die Tiefen des menschlichen Lebens hinein. Und das kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, weil es Gottes endgültige Tat ist, weil Gott selbst in der Welt ist. Diese Welt und damit auch wir können dies nicht mehr verlieren! Und deswegen gilt die weihnachtliche Botschaft auch uns allen:
Ich liebe dich, du Welt und du Mensch.
Ich bin da, ich bin bei dir.
Ich bin deine Zeit.
Ich weine deine Tränen.
Ich bin deine Freude.
Ich bin in deiner Angst, denn ich habe sie mitgelitten.
Ich bin in deiner Not.
Ich bin in deinem Tod, denn heute begann ich mit dir zu sterben, da ich geboren wurde,
Ich bin da.
Ich gehe nicht mehr von dieser Welt weg, wenn ihr mich jetzt auch nicht seht.
Und meine Liebe ist seitdem unbesieglich.
Ich bin da.
Gott ist mein großer Menschenfreund, er wird nicht mehr von mir weggehen. Gott ist dein großer Menschenfreund, er wird nicht mehr von dir weggehen.
Dann wird es hell, dann wird es Weihnachten – auch über Weihnachten hinaus. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus Amen.