Predigt an Septuagesimae über Prediger 7, 15-18
(16.2.2025; Auferstehungskirche, Thema: Verhalten im Leben)
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde!
„Wenn du nicht aufisst, gibt es morgen schlechtes Wetter.“ „Wenn du zu viel fernsiehst, bekommst du eckige Augen.“
Kindheitssätze, die wir wohl alle kennen oder vielleicht sogar selbst schon gesagt haben. Schon von klein auf lernen wir, dass unser Leben durch Regeln bestimmt ist. Und dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem gibt, was du tust und dem, wie es dir deswegen ergeht.
„Wenn du in der Nase bohrst, bleibt der Finger drin stecken.“
Und je älter wir werden, desto komplexer und längerfristiger werden diese Regelsätze, die wir von unseren Eltern zu hören bekommen. „Iss nicht die verkohlte Bratwurst, das gibt Krebs.“
„Treibe Sport, rauche und trinke nicht, dann lebst du länger.“
Oft ist an diesen Regeln tatsächlich etwas dran. Sie haben einen Sinngehalt. Doch im Laufe unseres Erwachsenwerdens müssen wir auch hier feststellen, dass das Leben sich an diese Regeln nicht hält. Menschen bekommen Krebs oder sterben jung, obwohl sie nie rauchten und auch nie eine verkohlte Bratwurst aßen. So ist Helmut Schmidt über 90 Jahre altgeworden, obwohl er geraucht hat wie ein Schlot.
Ein zweiter Gedanke des Predigers beschäftigt sich mit der Ungerechtigkeit. Menschen, die sich am Unglück anderer Menschen bereichern, führen ein langes und scheinbar glückliches Leben. Das ist unfair und ungerecht und es wirft die Frage auf, wie wir damit umgehen, wenn die Vorstellung von der Welt, die wir uns gemacht haben, nicht mehr trägt.
Auch der Verfasser des Predigttextes hat das gelernt. Vielleicht hat er selbst als Kind solche Sätze gehört: „Wenn du brav bist, wird es dir gut gehen.“ Er beobachtet die Welt und sieht, dass es oftmals nicht so ist.
Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit.
Manche haben wenig und denen wird noch mehr genommen. Und andre haben viel und bekommen immer noch mehr.
Der Prediger beobachtet die Welt und sieht, was uns, denke ich, allen vertraut ist: Die Welt ist nicht immer gerecht. Vielleicht sogar im seltensten Fall. Schön wäre es ja, wenn es anders wäre, wenn die Gerechten ein langes glückliches Leben hätten und die Ungerechten nicht, wenn gute Taten – gute Folgen und böse Taten – böse Folgen hätten. Der Prediger schaut sich also um und sieht die Welt, wie sie ist und stellt fest: So funktioniert das nicht. Und dann leitet er daraus ab, wie er sich dann in dieser Welt verhalten will.
Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest.
Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.
Er trifft die bewusste Entscheidung nicht zu gerecht und zu weise zu sein. Und rät uns dann auch dasselbe. Denn, wenn man ehrlich ist, das mit der Gerechtigkeit klappt auch bei uns selbst mal besser, mal schlechter. Und wenn wir ehrlich sind, weise sind wir auch nicht immer, denn irgendwann müssen wir immer feststellen, dass auch wir an Grenzen stoßen.
Aber bedeutet das Erkennen der eigenen Schwäche nun als Konsequenz: Sei so gerecht oder ungerecht, wie es gerade passt. Geh den Mittelweg, die Welt ist ungerecht, das ist nicht zu ändern, also lohnt es sich nicht, sich anzustrengen. Weder in die eine noch die andere Richtung.
Es fällt mir schwer da mitzugehen? Wenn ich mir die Welt anschaue, gibt es so viele Bereiche, in denen wir mehr tun könnten. In denen Ungerechtigkeit herrscht. Da sind Menschen auf der Suche nach Schutz, Frieden und Freiheit und scheitern auf ihrer Suche an der fehlenden Hilfe. Wenn ich darüber nachdenke, fallen mir immer mehr Sachen ein, die ungerecht sind und für die ich mich mehr einsetzen müsste. Für Menschen in Not. Für Kinder, die in Armut aufwachsen. Für den Schutz unserer Erde.
Ein Leben im Mittelmaß, in dem mich das alles kalt lässt, das kann ich mir nicht vorstellen. Das meint der Prediger auch gar nicht. Er setzt gegen das Mittelmaß und die Gleichgültigkeit den Satz: „Wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.“ Die Gottesfurcht ist der Maßstab, an dem sich unser Verhalten orientieren soll und die uns davon abhält es weder mit Gerechtigkeit und Weisheit, noch mit Ungerechtigkeit und Torheit zu übertreiben.
Wovor der Prediger hier warnt, ist eine Selbstgerechtigkeit, die uns selbst zum Maßstab aller Dinge macht. Er warnt davor uns selbst für unfehlbar zu halten und uns damit über alle Menschen und sogar Gott zu erheben. Gottesfurcht, das ist für ihn das Streben nach Weisheit und Gerechtigkeit ohne es zu verabsolutieren oder zum Selbstzweck verkommen zu lassen. Denn dann würden wir uns über Gott stellen.
Es geht also gar nicht einfach um einen „goldenen Mittelweg“ zwischen Weisheit und Torheit, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, sondern um eine realistische Einsicht in unsere Grenzen und Möglichkeiten. Denn wir können niemals vollständig gerecht sein. Ein paar Verse nach dem Predigttext heißt es weiter: „Doch kein Mensch auf Erden ist so gerecht, dass er nur Gutes tut und niemals sündigt.“
In der Welt werden wir überall zur Selbstoptimierung aufgefordert. Es gibt immer ein Höher, ein Schneller, ein Weiter. Und an sich zu arbeiten, ist ja auch etwas Gutes. Aber wir müssen doch immer wieder zu der Erkenntnis kommen, dass wir nicht alles schaffen können. Dass wir Fehler machen und Scheitern. Davon ist niemand ausgenommen. Daher lässt sich die Menschheit auch nicht in schwarz und weiß aufteilen. In Gerechte und Ungerechte. Denn trotz allem, was wir erreichen und schaffen können, gibt es doch immer etwas, das auch wir nicht schaffen oder falsch machen. Wir sind nicht allmächtig und die Welt, so wie sie ist, ist nicht das Paradies.
Für den Prediger ist das die eigentliche Weisheit: Anzuerkennen, dass wir nicht alles verstehen können und dass die Welt so unvollkommen ist, wie sie ist.
Angesichts des Leids und der Ungerechtigkeit in der Welt fällt mir das schwer. Warum gibt es immer noch Menschen auf der Welt, die Hunger leiden? Warum werden tagtäglich so viele Leben durch Krieg und Gewalt zerstört? Der Prediger rät zur Gottesfurcht, d.h. zum Vertrauen auf Gott, in dem Wissen, dass wir seine Gerechtigkeit und sein Handeln nicht immer verstehen können.
Ich finde diese Einstellung bewundernswert. Es ist ein Grundvertrauen darauf, dass alles aus Gottes Hand kommt und dass wir zwar nicht alles verstehen können, aber dass Gott das Gute für uns im Sinn hat.
Das, was wir in diesem Leben ändern können, das sollten wir auch ändern und uns dafür einsetzen, dass die Welt, in dem Maße, in dem wir etwas tun können, besser und gerechter wird. Aber uns wird nicht immer alles gelingen, was wir erreichen wollen.
Daher ist es, denke ich, nicht Mittelmäßigkeit, sondern ein großer Trost, dass wir uns mit unserem eigenen Mühen und Scheitern und auch mit unserer Verzweiflung an der Realität, Gott anvertrauen und überlassen können.
Und es ist nicht nur ein Trost, sondern auch eine Entlastung. Wir können und müssen alleine nicht die Welt retten. Wir können und müssen auch nicht perfekt sein. Wir können nur unser Bestes geben und darauf vertrauen, dass auch in schwierigen Zeiten Gott an unserer Seite steht.
Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus Amen.
Tikkun Olam: Im Kleinen die Welt verbessern
„Tikkun Olam“ heißt eine Lebensregel im Judentum, die Menschen dazu anhält, die Welt durch kleine Akte der Freundlichkeit und Wohltätigkeit zu einem besseren Ort zu machen. Für Elishewa Patterson ist diese „Heilung der Welt“ das wichtigste Element ihrer Religion.
„Jeder von uns kann einfach losgehen und sich gut verhalten und zugewandt sein“, sagt die jüdische Aktivistin aus Frankfurt am Main. Ihren Worten Taten folgen lässt sie unter anderem als ehrenamtliche Hospizbegleiterin und bei „Meet a Jew“. Mit diesem Projekt geht sie in Schulen, Sportvereine oder trifft sich mit Parteien, „um ihnen überhaupt einmal die Gelegenheit zu geben, Juden und Jüdinnen zu treffen.“
Eine Frau mit langen lockigen schwarzen Haaren. Sie sitzt in einem gemütlichen Wohnzimmer auf dem Sofa und lächelt selbstbewusst.
Wie wichtig solche Begegnungen und groß die Vorurteile gegenüber Juden und Jüdinnen oft noch sind, merkt Elishewa Patterson spätestens dann, wenn sie mit Davidstern um den Hals durch die Frankfurter Fußgängerzone läuft. „Da passiert es auch schon manchmal, dass mich jemand konfrontiert mit antisemitischen Ressentiments, Vorurteilen oder auch mit Beschimpfungen – häufig mit dem Bezug zu Israel und zu der israelischen Politik.“
Kraft für ihr Engagement findet Patterson bei Gott, wenn sie mit Freundinnen und Freunden gemeinsam Shabbat feiert oder beim Tanzen: mit Kopfhörern in ihrer Wohnung oder in aller Öffentlichkeit am Mainufer entlang. „Einige Leute denken dann: ‚Jetzt ist eine vollkommen durchgedreht.“ Aber es sei auch schon passiert, dass jemand mitgetanzt habe, sagt sie. „Es sind nicht die großen Sachen, die die Welt verändern, sondern die vielen, vielen kleinen.“
Wer spricht?
Frankfurterin, Rechtsanwältin, Ehrenamtlerin, Aktivistin, Jüdin, Weltverbesserin. Das ist Elishewa Patterson. Als aktives Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main und der Initiative Yachad engagiert sie sich für ein offenes, inklusives Judentum, in dem alle Menschen einen Platz haben. Mit dem Projekt „Meet a Jew“ und der Initiative “Sei ein Mensch” trägt sie dazu bei, Vorurteile durch persönliche Begegnungen abzubauen und Verständigung zwischen muslimischen und jüdischen Menschen zu schaffen. Als ehrenamtliche Hospizbegleiterin hilft sie auch, den Abschied von dieser Welt zu erleichtern.
www. da-geht-noch-was.hessen.de/tikkunolam
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause