Predigt am 21. S.n.Tr. über Matthäus 5, 38-48
(20.10.2024; Auferstehungskirche, Thema: Wie gehe ich mit Gewalt um?)
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde!
Ich möchte euch und Sie in zwei ganz unterschiedliche Reaktionen mitnehmen. Schon viele Jahrzehnte her ist der berühmte Fall der Marianne Bachmeier. Ich kann aber die Mutter verstehen, die im Gerichtssaal den Mörder ihres Kindes erschossen hat. Marianne Bachmeier hatte den Mörder ihrer Tochter Anna erschossen und kam selbst ins Gefängnis. Die Richter urteilen damals über ihre Tat sehr milde. Sie wurde zu nur 6 Jahren Gefängnis verurteilt, weil die Tat als spontane Handlung ausgelegt wurde. So wurde das Verständnis deutlich, dass Marianne Bachmeier den Mörder ihrer Tochter erschossen hatte. Später starb sie mit nur 46 Jahren an Krebs.
Ein anderer Fall, der uns allen noch im Gedächtnis ist: Ein Junge wird vermisst Mirco aus Grefrath.
Monatelang hofften und bangten Sandra und Reinhard Schlitter aus Grefrath 2010 um ihren Sohn. Menschen aus ganz Deutschland nahmen Anteil an ihrem Schicksal. Nach 145 Tagen, in denen die bis dato größte Suchaktion in der Geschichte der Bundesrepublik lief, stand fest: Der zehnjährige Mirco, der auf dem Heimweg von der Skaterhalle verschwand, ist tot – entführt, missbraucht und ermordet. Der Täter, Olaf H., sitzt eine lebenslange Freiheitsstrafe ab. Über das Motiv für seine schreckliche Tat schweigt er sich bis heute beharrlich aus.
Die Eltern von Mirco reagieren völlig anders als Marianne Bachmeier. Sie suchen den Weg der gegenseitigen Versöhnung, die sogar den Täter einschließt, betont das Ehepaar. Eine Aussage, die viele andere Menschen ungläubig hören. Die Eltern von Mirco sagen: „Wir hassen den Täter nicht. Hass bremst nur die eigene Entwicklung. Wer an Gott glaubt, der möchte nicht an Hass und Bitterkeit festhalten.“ Sandra Schlitter, sagt oft, wie der Glaube an Gott ihnen weitergeholfen hat. „Bis heute beten mein Mann und ich für den Täter. Mein Mann und ich aber wollen nicht hassen. Rachegedanken sind Gefühle, die diejenigen verändern, der sie in sich trägt. Und zwar nicht zum Guten. Wir wollen den Wahnsinn der Tat nicht noch dadurch belohnen, dass Reinhard und ich in die Gefahr geraten, uns zu vergessen und Gleiches mit Gleichem vergelten zu wollen. Wir wollen unsere Herzen nicht von diesen negativen Gefühlen vergiften lassen.“
Ihr Schlitters mit eurem immer großen Herz, sagten die Opferschützer der Soko, als der Fall abgeschlossen war – kopfschüttelnd. Wir sollten endlich auch mal an uns denken. „Aber tun wir das nicht? Irgendwann hab ich mal gehört, wo er inhaftiert sein soll. Es ging ins eine Ohr rein und ins andere wieder raus. Was brächte es, sich mit diesem Wissen zu belasten? Jemand, der hasst, lacht nicht mehr. Kann keine starken, fröhlichen Kinder großziehen.
Unsere drei, die Jüngste ist heute 15, sind starke, fröhliche Persönlichkeiten. Ich möchte nicht wissen, wie es den vier Kindern des Täters geht. Auch für sie beten wir. Und für seine Mutter und seine Schwester, die einmal anrief und sich für ihn entschuldigen wollte. Das brauchen Sie nicht, sagte mein Mann. Sie sind nicht er. Er hat es zu verantworten. Er allein trägt die Last.“
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand eine Meile nötigt, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.
Marianne Bachmeier oder Ehepaar Schlitter? Rache oder Vergebung? Die andere Wange hinhalten oder sich rächen?
Und was machen wir jetzt mit den Worten Jesu? Lehnen wir sie ab, weil sie uns gerade im Alltag als untauglich erscheinen?
Ja, manchmal braucht es Gewalt. Es braucht dann Gewalt, um eine andere Gewalt einzudämmen. Es brauchte den zweiten Weltkrieg, um die menschenverachtende Politik Adolf Hitlers mit Millionen von Toten zu beenden. Die Ukraine muss sich verteidigen gegen einen Aggressor Wladimir Putin, der sonst das Land auslöschen wird. Manche Gewalt kann nur durch eine andere Gewalt gestoppt werden. Kinder müssen vor Menschen geschützt werden, die sich an ihnen vergehen wollen. Dafür sind Gefängnisse da, auch eine Form von Gewalt. Für mich selber kann ich entscheiden, Gewalt auszuhalten. Andere dagegen muss ich beschützen.
Ich mag nicht urteilen über Marianne Bachmeier, die den Mörder ihrer Tochter erschoss. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn meinem Sohn etwas passieret wäre.
Spannend aber bleibt: Diese Welt hat sich kolossal völlig verändert, weil jemand sich so verhalten hat wie Jesus es in seiner Bergpredigt beschreibt. Er, Jesus, hat die Schmähungen, die Verurteilungen, die Folter, die Schmach, die Schmerzen und den Tod ausgehalten, obwohl ihm als Gottes Sohn alles andere möglich gewesen wäre. Er hat nicht zurückgeschlagen und keine Rache geübt. Auch der Vater lässt nach dem Tod seines Sohnes die Erde nicht zornentbrannt untergehen. Beide beantworten Gewalt mit Liebe. Und deswegen verändert sich die Welt.
Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre, wenn wir wirklich so handeln würden, wie Jesus es vorschlägt. Ich meine damit nicht, einfach alles zu ertragen. Ich meine damit nicht, sich klein zu machen. Ich meine damit nicht, hilflos zu sein. Aber ich meine damit, anders zu reagieren als wir es normalerweise gewohnt sind.
Ich erinnere mich an eine Situation in meiner ersten Gemeinde. Zwei Jugendliche hatten in die Kirche eingebrochen und hatten Computer und Bildschirme gestohlen. Sie wurden beide erwischt. Man fand die geklauten Sachen in ihren Zimmern. Beide wurden zu Sozialstunden verurteilt. Es hatte einiges an Überzeugungsarbeit gekostet. Schließlich leisteten sie ihre Sozialstunden an der Kirche ab, in der sie vorher eingebrochen waren. Das war weder für uns noch für sie einfach. Aber es war gut.
Ein paar Fragen: Müssen wir immer bis ins Letzte auf unserem Recht bestehen? Wie viele fürchterlichen Streitigkeiten unter Nachbarn könnten durch Nachgiebigkeit und Nachsicht beendet werden! Stecke ich andere nicht auch mit meiner Freundlichkeit an? Wie viele sind nur noch verbittert und kennen gar keine Freundlichkeit mehr! Muss ich jeden kleinsten Kratzer an meinem Auto verfolgen lassen? Muss ich auf Unfreundlichkeit auch unfreundlich reagieren? Was passiert, wenn ich einem, der mich anraunzt, freundlich einen guten Tag wünsche? Euch und Ihnen fallen bestimmt noch viel mehr Situationen ein, in denen wir anders reagieren könnten als „normal“.
Schließen möchte ich mit einer kleinen Geschichte. Sie trägt den Titel „Was Liebe vermag“:
Was Liebe vermag
In einem Dorf lebte ein Christ, mit dem man allerhand Schabernack trieb. Man wollte den „Frommen" ärgern und ihn auf die Probe stellen. Eines Tages trieben es die Dorfjungen besonders arg. Jemand kam auf die Idee: „Decken wir dem Sepp das Dach ab. Mal sehen, wie fröhlich er bleibt, wenn er morgens aufwacht und sein Dach ist fort!" - Gesagt, getan. In aller Vorsicht deckten sie über Nacht das Dach ab, blieben aber doch nicht unbemerkt. Der Sepp überlegte: „Schimpfen, die Polizei rufen, alle verhaften lassen?" Nein, der Christ entschied anders. Als das Unternehmen beendet war und die jungen Leute sich verziehen wollten, stand plötzlich der Sepp in der Tür und sagte zu ihnen: „Ihr habt die ganze Nacht so schwer gearbeitet, jetzt braucht ihr erst mal ein ordentliches Frühstück. Kommt herein, ich habe alles gerichtet!" Selbstverständlich haben die Burschen nach dem ausgiebigen Frühstück die Dachziegel wieder eingedeckt. So war das Dach wieder heil. Die Beziehung war nicht durch Hass oder Rache vergiftet. Und mancher der jungen Leute kam durch das Verhalten des Sepp zum Glauben an Jesus Christus. Was doch die Liebe vermag! Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus Amen.
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause