Predigt über Matthäus 21, 1-11
(1.12.2024, Auferstehungskirche, Thema: „Wer ist Gott für mich – Vorbereitung auf Weihnachten“)
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde!
Heute begegnet uns als Predigttext ein sehr bekannter Text aus dem Matthäus-Evangelium. Es ist der Einzug Jesu in Jerusalem, den Matthäus mit folgenden Worten beschreibt:
Kurz vor Jerusalem kamen sie zu der Ortschaft Betfage am Ölberg. Dort schickte Jesus zwei Jünger fort mit dem Auftrag: »Geht in das Dorf da drüben! Gleich am Ortseingang findet ihr eine Eselin und ihr Junges angebunden. Bindet beide los und bringt sie zu mir! Und wenn jemand etwas sagt, dann antwortet: 'Der Herr braucht sie.' Dann wird man sie euch sofort geben.« Damit sollte in Erfüllung gehen, was der Prophet angekündigt hatte: »Sagt der Zionsstadt: Dein König kommt jetzt zu dir! Er verzichtet auf Gewalt. Er reitet auf einem Esel und auf einem Eselsfohlen, dem Jungen eines Lasttiers.« Die beiden Jünger gingen hin und taten, was Jesus ihnen befohlen hatte.
Sie brachten die Eselin und ihr Junges und legten ihre Kleider darüber, und Jesus setzte sich darauf. Viele Menschen aus der Menge breiteten ihre Kleider als Teppich auf die Straße, andere rissen Zweige von den Bäumen und legten sie auf den Weg. Die Menschenmenge, die Jesus vorauslief und ihm folgte, rief immer wieder: »Gepriesen sei der Sohn Davids! Heil dem, der im Auftrag des Herrn kommt! Gepriesen sei Gott in der Höhe! Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.«
Viele von uns werden diesen Text kennen. Er gehört zu den bekannten Texten der Bibel, ist oft in Bildern dargestellt oder in Filmen gespielt worden. Um ihn aber wirklich ganz verstehen zu können, müssen wir von der Prophezeiung hören auf die sich der Text bezieht. Jesus selber spricht von ihr. Der Prophet Sacharja überliefert uns die Prophezeiung: Freu dich, du Zionsstadt! Jubelt laut, ihr Bewohner Jerusalems! Seht, euer König kommt zu euch! Er bringt Gerechtigkeit, Gott steht ihm zur Seite. Demütig ist er vor seinem Gott. Er reitet auf einem Esel. Er schafft die Pferde und Streitwagen ab in Jerusalem und ganz Israel, auch die Kriegsbogen werden zerbrochen. Er stiftet Frieden unter den Völkern. Von Meer zu Meer reicht seine Herrschaft, vom Eufratstrom bis zu den Enden der Erde.
Diese Prophezeiung des Propheten Sacharja wurde zu seiner Zeit, ca. 600 Jahre vor Jesus, begierig aufgenommen. Frieden wünschten sich die Menschen nach vielen Jahren des Krieges. Sicherheit wünschten sie sich in aller Unsicherheit eines schwachen Landes, das von anderen beherrscht wird. Da würde ein neuer König genau recht kommen. Ein König, der Frieden schafft. Ein König, an dessen Seite wirklich Gott steht. Und weil diese Prophezeiung so vielen Sehnsüchten entsprach wurde sie über die Jahrhunderte hinweg weitergegeben.
Die Situation Israels und der Menschen hatte sich zur Zeit Jesu nicht sonderlich verändert. Die Prophezeiung war immer noch sehr lebendig. Und so befiehlt Jesus seinen Jüngern einen Esel zu besorgen, auf dem er in Jerusalem einziehen will. So will er allen zeigen: Ich bin der neue König, der im Auftrag Gottes kommt. Ich bringe den Frieden und im Auftrag Gottes eine neue Botschaft für alle Menschen. Die Einwohner Jerusalems sind begeistert und bereiten ihm einen triumphalen Empfang. Gepriesen sei der Sohn Davids! Heil dem, der im Auftrag des Herrn kommt! Gepriesen sei Gott in der Höhe!« Und sie legen Kleider und Zweige auf die Erde, um Jesus einen königlichen Empfang zu bereiten.
Wenige Wochen nach diesem triumphalen Empfang sind es die gleichen Einwohner Jerusalems, die schreien: „Tötet ihn, kreuzigt ihn, bringt diesen selbsternannten König um.“ Statt seiner schenken sie einem Schwerverbrecher die Freiheit und wünschen Jesus den Tod.
Warum aber hat sich innerhalb von so kurzer Zeit die Stimmung gedreht? Warum wurde aus dem erhofften Messias ein gehasster Hochstapler? Warum wurde aus dem „Heil ihm“ ein „Kreuzigt ihn“?
Der Grund ist einfach: Enttäuschte Erwartungen und enttäuschte Hoffnungen. Die meisten Menschen in Israel hatten einen anderen Messias und Retter erwartet als der, der dieser Jesus von Nazareth war. Sie hatten von einem geträumt, der im Auftrag Gottes endlich aufräumt. Sie hatten von einem starken Messias geträumt, der die verhassten Römer aus dem Land jagt. Sie hatten einen erwartet, mit dem Gottes Herrlichkeit so stark ist, dass er allen menschlichen Gegnern überlegen gewesen wäre. Sie hatten mit einem gerechnet, der Israel, das Volk Gottes, wieder zu einem mächtigen und starken Volk macht – mächtiger und stärker als alle seine Feinde.
Stattdessen wird ihr Hoffnungsträger von römischen Soldaten festgenommen – ohne sich zu wehren. Stattdessen steht er vor dem Prozess und nichts von der göttlichen Herrlichkeit ist zu sehen. Aus enttäuschten Erwartungen und Hoffnungen wird Wut und Hass.
Die Menschen damals in Israel, die Einwohner in Jerusalem wurden enttäuscht, weil sie in ihren eigenen Vorstellungen von Gott so festgefahren waren, dass sie die Botschaft Gottes nicht gehört haben. Jesu Worte waren: »Sagt der Zionsstadt: Dein König kommt jetzt zu dir! Er verzichtet auf Gewalt.“ Sie aber hatten ihn nicht gehört, nicht begriffen, wer Gott für sie sein wollte.
Welchen Gott erwarten wir? --- Auf welchen Gott warten wir? --- Wer ist Gott für mich?
Wir haben eine große Chance, uns selber diese Fragen in Ruhe zu stellen. Denn wir feiern heute den ersten Advent. Es liegen noch einige Wochen vor uns, in denen wir uns diese Fragen stellen können. Wir haben die Zeit, wirklich für uns zu klären: „Wer ist Gott für mich?“ „Was will ich von ihm?“ „Was will Gott von mir?“
Für mich ist dabei der Adventskranz ein Symbol. Woche für Woche zünden wir eine Kerze mehr an. Das Licht der Kerzen wird immer mehr. Wenn wir uns diese Fragen nach Gott und uns stellen, dann werden auch wir immer mehr erkennen, welche Bedeutung Gott für mich und mein Leben hat. Diese Erkenntnis wird uns mit Sicherheit nicht von einer Sekunde auf die andere überkommen. Es wird Zeit brauchen, bis wir die Ahnung einer Antwort haben. Und es wird noch mehr Zeit brauchen, bis wir uns unserer Antwort einigermaßen sicher sind. Aber wir werden eine Antwort für uns finden. Eine Antwort, die wirklich etwas mit unserem Leben zu tun hat. Eine Antwort, die die einzigartige Beziehung jedes Einzelnen von uns zu Gott zum Inhalt hat.
Vielleicht entdecke ich, wie schwach ich eigentlich bin – dass ich mich am liebsten nur in die Arme Gottes fallen lassen will. Vielleicht entdecke ich, dass mein Weg im Moment ein falscher ist – und suche in Gott einen Ratgeber für meinen Weg. Vielleicht entdecke ich, wie stark ich im Moment bin – und lasse mich von Gott für bestimmte Aufgaben schicken. Vielleicht entdecke ich, wie müde ich im Augenblick bin – und suche Gottes Kraft. Vielleicht entdecke ich, wie traurig ich bin – und brauche Gottes Trost.
Wenn wir uns Zeit nehmen, dann werden wir entdecken, wie es wirklich um uns bestellt ist. Dann werden wir zuallererst uns selbst entdecken. Dieses alleine wäre schon für viele von uns ein wahnsinniges Gefühl – zu fühlen, zu spüren, zu sehen: Ich bin im Augenblick ...
Und eine noch größere Entdeckung wird es für uns sein, wenn wir erleben, wie Gott für uns sein will. Wir werden erspüren können, was er mit uns will – und auch, was er nicht mit uns will. Wir werden vielleicht Wege und Gedanken korrigieren müssen. Neue Wege und Gedanken wagen müssen – mit Gottes Hilfe.
Vielleicht bin ich anders als gedacht – vielleicht ist auch Gott anders als gedacht. Vielleicht werden meine ersten Gedanken und Wege die richtigen gewesen sein. Aber die Antwort werden wir erst in uns haben, wenn wir uns mit Gott Zeit genommen haben.
Als Hilfe zum Nachdenken und Nachspüren liegen am Ausgang Zettel für Sie bereit. Zettel auf denen die Losungen für die Adventszeit stehen. 2x 24 kurze Bibelzitate. Ich lade Sie ein, sie mitzunehmen. Nehmen wir uns an jedem etwas Zeit, uns von ihnen bereichern und verändern zu lassen. Lassen wir uns von ihnen infrage stellen und bestätigen lassen. Nehmen wir uns Zeit mit Gott dadurch.
Dann wird es uns hoffentlich anders gehen als den Menschen in Jerusalem. Sie nämlich haben sich keine Zeit genommen – nicht gehört, was Gott wirklich mit ihnen wollte. Und damit haben sie auch Jesus selbst gebraucht, ja missbraucht mit ihren eigenen Vorstellungen. Und später feststellen müssen, dass sich ihre Hoffnungen zerschlagen haben, ihre Vorstellungen zu Staub zerfielen. Aus dem Fest wurde dann Rache.
Wir aber haben die Chance, uns auf das Kommen Jesu vorzubereiten. Und dann werden wir viel bewusster und schöner Weihnachten feiern können. Denn dann wissen wir, auf wen wir warten, wen wir erwarten. Und wir werden wissen, welche Beziehung wir zu dem Kind im Stall haben. Und dann wird Weihnachten auch mit einer großen Freude verbunden sein – mit der Freude, noch einmal zu hören und zu spüren, wie nahe mir persönlich Gott gekommen ist. Und dann wird das Gefühl von Weihnachten hinausreichen über die drei Feiertage hinaus. Dann wird es Platz in meiner Seele und in meinem Leben haben. Dann wird Gott in meiner Seele und in meinem Leben sein.
Mit einer kleinen Geschichte will ich aufhören:
Die Kirchenglocken läuteten an diesem Morgen besonders laut. Ich war schon öfter durch sie wach geworden, doch dieses Mal war es anders. Das Geläut klang eindringender. Es war tief in mein Unterbewusstsein gelangt, um mich aus einem merkwürdigen Traum zu holen.
Als ich endlich die Augen öffnete, merkte ich, wie hell es bereits war. Es war Sonntag. Die Kirchenglocken luden zum Gottesdienst ein und ich lag im Bett. Ein überwältigendes Gefühl von Einsamkeit überkam mich, als ich die Decke wegzog und mich aufsetzte.
Ich schlurfte ins Bad und sah in den Spiegel. Die Augenringe wurden immer dunkler. Dann nahm ich wieder die Kirchenglocken wahr.
„War es zu spät?“, überlegte ich. Plötzlich ging alles ganz schnell. In Windeseile putzte ich mir die Zähne, erledigte das Notwendige und zog mich an. Mit offenen Schnürsenkeln sprintete ich zur Tür hinaus und die Straße hinauf.
Als ich in die Kirche trat, wurde gerade gesungen. Als das Lied vorüber war, setzte sich die Gemeinde.
Die Predigt begann. Nach den ersten Sätzen war mein Verstand bereits abgedriftet, eingenommen von der riesigen Jesusfigur, die leblos über dem Pfarrer hing.
Etwas in den hölzernen Augen sog mich in seinen Bann. Mein Blick wurde starr, ich verlor mich in den Augen des Erlösers. Erlöst wurde ich durch eine Hand, die mich sanft an der Schulte anfasste.
Ich erschrak mich so sehr, dass ich einen erbärmlichen kleinen Laut von mir gab. Als ich den Pfarrer hinter mir sah, entschuldigte ich mich sofort für den Fauxpas.
Er lachte.
„Ich kenne Sie nicht. Doch es freut mich, ein neues Gesicht zu sehen. Das ist selten heutzutage.“
„Normalerweise komme ich nicht her. Aus irgendeinem Grund bin ich heute dem Klang der Glocken gefolgt.“
„Was hat Sie hergeführt?“ Darauf konnte ich nicht gleich antworten.
Wieder sah ich Jesus am Kreuz. Sein Blick verriet mir die Antwort.
„Ich wollte sehen, wie viel von Gott noch in mir übrig ist.“
Der Pfarrer hörte meine Worte mit einem geduldigen, gutmütigen Blick an.
Dann sah auch er zu Jesus hoch.
Einen Moment schien es so, als würde er eine göttliche Botschaft empfangen.
Doch war seine Antwort eine sehr menschliche.
„Hören Sie auf zu suchen und fangen Sie an zu geben. So werden Sie erkennen, dass Gott Sie erfüllt. Er war nie weg.“ Worte waren sinnlos.
Wir verabschiedeten uns mit gegenseitigem Respekt.
Ich verließ die Kirche. Die Sonne schien und Jesus schaute noch immer von seinem Kreuz herab.
Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause