Predigt am 8.S.n. Tr. über Epheser 5, 8-14
(21.7.2024; Auferstehungskirche, Thema: Leben als Kinder des Lichts)
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde!
Im Universum ist nichts so interessant wie das Licht. Demokrit und Aristoteles, Galilei und Newton, Fraunhofer und Planck – sie alle sind dem Geheimnis des Lichts nachgegangen. Und nicht zu vergessen Albert Einstein. Schon als junger Mann war er vom Licht fasziniert: „Den Rest meines Lebens werde ich darüber nachdenken, was Licht ist“, sagte er. Er setzte diesen Vorsatz in die Tat um und entwickelte seine berühmte Relativitätstheorie.
Für Laien bedeutet Licht zunächst nur das, was er mit seinen Augen sieht. Das ist allerdings nur ein winziger Bereich des gesamten Lichts. Es gibt noch viele andere Arten von Licht. Wir können sie nur deshalb nicht sehen, weil unsere Augen dafür unempfänglich sind – Infrarotlicht, Röntgen- und Gammastrahlen zum Beispiel. Allen Arten von Licht ist gemeinsam, dass sie sich mit der sagenhaften Geschwindigkeit von 300.000 Kilometern pro Sekunde ausbreiten. Sie beeinflussen unser Leben in vielerlei Weise. Ohne Licht könnte Leben nicht existieren, gäbe es weder Photosynthese noch Gedeihen noch Wachstum. Darüber hinaus macht sich der Mensch heutzutage die verschiedenen Arten von Licht in intelligenter Weise zunutze. Er zerschneidet damit Metallplatten, verschickt Nachrichten in die Welt und vermisst die Verschiebung von Kontinentalplatten. Und er gebraucht das Licht zu medizinischen Zwecken, blickt tief in den menschlichen Körper, kann Augen lasern und Tumore entfernen. Zur Behandlung von Depressionen und Schlafstörungen wird immer häufiger Lichttherapie eingesetzt. Dabei sitzen die Patienten im Abstand von knapp einem Meter vor einer Leuchte mit etwa 10.000 Lux, deutlich heller als eine normale Zimmerbeleuchtung. Sie können während der Behandlung frühstücken, Zeitung lesen oder Anderes machen. Das Licht steuert die Bildung der körpereigenen Hormone Melatonin und Serotonin und wirkt stimmungsaufhellend.
Ich kenne Menschen, die wirken auf ihre Umgebung so positiv wie eine Lichttherapie. Sie verändern das Klima in einem Raum zum Guten. Haben eine so offene, zugewandte und herzliche Art, dass in ihrer Umgebung gleichsam die Sonne aufgeht. Erwärmen fremde Herzen wie eine Leuchte mit 10.000 Lux. Menschen wie sie sind ein Geschenk für die Welt. Könnten nicht auch wir solche Menschen sein oder immer mehr werden?
Jesus jedenfalls traut es uns zu. Er hat die Seinen das Licht der Welt genannt und ihnen eingeschärft, ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, sondern auf einen Leuchter. Dementsprechend durchzieht die Lichtsymbolik das gesamte Neue Testament. Besonders prägnant kommt sie im Brief des Paulus an die Gemeinde in Ephesus zur Sprache. Darin heißt es:
8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; 9 die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. 10 Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, 11 und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. 12 Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich. 13 Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht aufgedeckt wird; 14 denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.
Die Stadt Ephesus zählte in der Antike mit ihren etwa 200.000 Einwohnern zu den größten Kleinasiens. Dank ihrer günstigen Lage unmittelbar an der Ägäisküste war sie das wichtigste Handelszentrum des Mittelmeers. Zahlreiche Tempel zeugten nicht nur vom Wohlstand der Stadt, sondern auch vom religiösen Leben. Der prächtige Bau zu Ehren der römischen Göttin Artemis zählte sogar zu den sieben Weltwundern. Auch das Christentum fasste im ersten Jahrhundert in Ephesus rasch Fuß. Die kleine Gemeinde war bunt gemischt; zu ihr gehörten Juden ebenso wie auch ehemalige Heiden. Gerade in ihrem Anfangsstadium war die Gemeinde auf Orientierungshilfe und praktischen Rat angewiesen. Zu diesem Zweck schrieb ihr Paulus seinen Brief.
In dem Schreiben redet der Apostel Klartext. „Ihr wart früher Finsternis“, stellt er fest. Die Epheser wussten sehr genau, was er damit meinte. In ihrer pulsierenden Hafenstadt blühte naturgemäß auch das Laster. Der Handel war geprägt von Habgier und Korruption. Kneipen und Bordelle gab es an fast jeder Straßenecke, die römischen Theater und Thermen lockten mit ihrer Lebensart. Durften Christen nach ihrer Taufe noch daran teilhaben? Nie und nimmer, meint Paulus. Keine faulen Kompromisse dürfe es da geben, keinen Rückfall in frühere Praktiken und Gewohnheiten. Morgens Kirche und abends Bordell? Sich Christen nennen, aber heimlich weiter dem Laster frönen? „Alles wird offenbar!“ warnt der Apostel. Mit anderen Worten: Meidet die Sünde in jeder Form, denn es bleibt nichts verborgen, es kommt alles ans Licht!
Dass alles ans Licht kommt, ist eine Vorstellung, mit der man auch heute noch Menschen beeindrucken kann. Dies verdeutlicht eine Episode, die sich vor einiger Zeit tatsächlich zugetragen haben soll. In einer Stadt in der Schweiz erlaubten sich ein paar Jungen einen Streich. Sie riefen wahllos Leute an. Und wenn sich jemand meldete, sagten sie nur den einen Satz: „Es ist alles herausgekommen.“ Dann legten sie schnell wieder auf. In der nächsten Zeit spielten sich in der Stadt erschütternde Szenen ab. Einer von den Angerufenen traute sich tagelang nicht aus dem Haus. Einer zog ganz aus der Stadt weg. Einer beging sogar Suizid. Natürlich gab es unter den Angerufenen auch manche, die das Ganze als dummen Streich abtaten und sich nicht weiter darum kümmerten. Aber eine ganze Reihe hat sich doch ertappt gefühlt. Und es war für sie eine unerträgliche Vorstellung, dass offensichtlich dunkle Punkte aus ihrem Leben ans Licht der Öffentlichkeit gelangt waren.
Inwieweit sich die Epheser von der Warnung des Paulus haben verunsichern lassen, ist nicht überliefert. Aber zweifellos ist ihnen deutlich geworden, worauf es Paulus eigentlich ankam. Nicht darauf, ihnen Angst zu machen, sondern sie in die Freiheit und die Freude zu rufen. Sie sollten sich als Kinder des Lichts verstehen, von dem Erbarmen und der Liebe Christi durchdrungen. „Wandelt als Kinder des Lichts!“, ruft der Apostel. Ein Kind des Lichts ist ein Mensch, der sich trotz seiner Unvollkommenheit angenommen und geliebt weiß. Ein Mensch, der nicht auf seine Vergangenheit festgelegt bleibt, sondern eine Zukunft hat von Gott her und auf ihn zu.
Das Licht Christi in sich tragen, darum geht es auch für uns. Dass wir uns von seiner Liebe tragen und leiten lassen. Und dies eben nicht nur im Gottesdienst, nicht nur beim Beten und Psalmensingen, sondern im ganz profanen Alltag. Auch und gerade dort soll man es uns anmerken, ansehen können, dass wir Christen sind, Kinder des Lichts. Der Apostel Paulus nennt als Früchte des Lichts die Güte, die Gerechtigkeit und die Wahrheit. Diese zeigen sich oft nicht in großen, sondern eher in kleinen Gesten. Indem wir auch dann nachsichtig und geduldig bleiben, wenn es uns schwer fällt. Indem wir bereit sind, uns zugefügtes Unrecht zu verzeihen. Indem wir ein Auge für die Schwachen und Bedürftigen haben. Und indem wir auf die Stimme unseres Gewissens hören und unser Verhalten danach ausrichten.
Gestern, am 20. Juli, jährte sich das Attentat auf Adolf Hitler zum achtzigsten Mal. In den Medien wurde unter anderem mit Dokumentationen und Spielfilmen an das Ereignis erinnert. Ich möchte diesen Beiträgen noch eine kleine Episode hinzufügen, die zwar nicht unmittelbar mit dem Attentat zu tun hat, aber doch in den Kontext des Widerstandes gegen das Nazi-Regime gehört. Emmi Bonhoeffer, die Schwägerin von Dietrich Bonhoeffer, hat nach dem Krieg immer wieder die folgende Geschichte erzählt. Gegen Ende 1941 fuhr sie eines Tages in Berlin mit der Straßenbahn. Die Bahn war voll. Am Kurfürstendamm stieg eine alte, gebrechliche Dame ein; der Stern an ihrem Mantel kennzeichnete sie als Jüdin. Ein Arbeiter stand auf, machte ihr Platz und sagte in der gutmütig schnoddrigen Berliner Weise: „Na, setz dir man hin, kleine Sternschnuppe.“ Sie traute sich nicht, der Aufforderung zu folgen, zumal ein Schaffner kam und den Mann anfuhr: „Sie wissen doch, dass Juden nicht sitzen dürfen.“ Darauf er: „Nun will ick dir mal wat sagen, Freundchen. Über meenen Hintern bestimme ick.“ Sprach’s und stieg aus. Emmi Bonhoeffer, die die Szene beobachtet hatte, drückte die alte Dame auf den Platz und flüsterte ihr zu: „Bleiben Sie ruhig sitzen.“ Dann stand sie solange neben ihr, bis sie aussteigen musste. Der Schaffner erhob keine Einwände mehr.
„Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ Paulus hat Recht. Und da nicht in jedem Falle eindeutig auf der Hand liegt, was gerecht und wahr ist, fügt der Apostel noch hinzu: „Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist.“ Das ist tatsächlich eine gute Wegweisung für ein Leben im Licht. Ich wünsche, dass wir mehr zu Menschen werden, die Licht in sich tragen und verbreiten. Die auf andere so herzerwärmend und heilsam wirken wie eine Lichttherapie von 10.000 Lux. Jesus traut es uns zu, in seinem Geist zu leben. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus Amen.
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause