Predigt am 6.S.n.Tr. über Apostelgeschichte 8,26-39
(7.7.2024; Auferstehungskirche, Thema: Verkündigung leben)
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde!
Lebenswege sind manchmal geradlinig, einsehbar, klar. Manchmal komme ich gut voran, weiß, wohin es gehen soll. Ich nehme die richtigen Abzweigungen, brauche nicht lange zu überlegen, ob ich links oder rechts herum will. Ich kann gut erkennen, wohin welcher Weg führt. Und ob ich auf ihm mein Ziel erreiche. Manchmal ist es wie auf dem flachen Land, an der Küste, an einem klaren, sonnigen Tag. Ich kann kilometerweit schauen, sehe jeden Baum und jedes Haus von hier bis zum Horizont. Dort kann ich stundenlang auf schnurgeraden Pfaden durch die Felder spazieren, mein Weg liegt offen vor mir. Ich brauche keinen Wanderführer, keine Straßenschilder. Ich kann mich nicht verlaufen. Und am Abend finde ich mühelos wieder nach Hause.
Manchmal sind die Lebenswege aber auch ganz anders. Eher wie auf einer Wandertour im Gebirge. Da geht es auf und ab. Ich kann nicht immer erkennen, was nach der nächsten Wegbiegung auf mich wartet. Da versperren mir Felsen die Sicht. Plötzlich stehe ich an einer Kreuzung und muss entscheiden: Gehe ich rechts oder links herum? Dabei weiß ich ja gar nicht, was dort jeweils kommt. Und manchmal steigt ganz unerwartet Nebel auf. Ich kann nur noch wenige Meter überschauen. In solchem Gelände bin ich verloren, wenn ich mich verirre und keine Hilfe bekomme. Wanderkarten sind hier unerlässlich. Besser noch sind Bergführer, denn für Ungeübte haben Wanderkarten auch ihre Schwierigkeiten.
Der Weg im Flachen und auch die Strecke im Gebirge sind Bilder für Lebensabschnitte. Im Leben gilt fast immer: Es ist gut, wenn ich Menschen finde, mit denen ich ein Stück des Weges gemeinsam gehen kann. Einen anderen, der, warum auch immer, im Augenblick weiter oder anders sehen kann als ich. Vielleicht, weil er diesen Weg selbst schon einmal gegangen ist. Vielleicht, weil er, von außen kommend, den Überblick hat, wo ich vor Panik gar nicht mehr geradeaus schauen kann. Ein Mensch, der mich ein Stück meines Weges begleitet, mir die Richtung zeigt, mich an der Hand nimmt, wenn nötig.
Ich glaube, dass mir solche Menschen über den Weg geschickt werden. Von Zeit zu Zeit. Wenn ich es brauche. Jemand, der im richtigen Moment auftaucht und die richtigen Worte findet. Worte, die mir weiterhelfen. Um solch ein Aufeinandertreffen geht es auch in der Geschichte, über die wir heute Morgen miteinander nachdenken wollen. Und um einen Weggefährten. Ein Gefährte auf Glaubenswegen.
Der Kämmerer aus Äthiopien
Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.
Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.«
Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem?
Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse? Philippus aber sprach: Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so kann es geschehen. Er aber antwortete und sprach: Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist.«
Und er ließ den Wagen halten, und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.
Wie gut für diesen Menschen, dass er Philippus traf. Diese Reisebekanntschaft wird er nicht wieder vergessen. Sie hat sein Leben nachhaltig verändert. Da wurde ihm jemand geschickt, der ihm an einem Punkt, an dem er nicht weiter wusste, den Weg weisen konnte. Ein Fremder, der ihn ein Stück seines Weges begleitet hat. Wie gut, dass er Philippus bat aufzusteigen. Wäre er einer gewesen, der prinzipiell keine Anhalter mitnimmt, oder einer, der sich im Zug nicht ansprechen lässt, würde er vielleicht immer noch im Dunkeln tappen. Aber dann konnte er die schwierigen Sätze der Schrift, mit denen er sich herumplagte, verstehen, weil ein anderer sie mit persönlicher Erfahrung, mit Leben gefüllt hat. Und er wusste plötzlich, dass an diesem Glauben etwas dran war. Dass die Worte tatsächlich auch etwas für sein Leben bedeuteten.
Eine schöne Erzählung. Eine, die uns deutlich werden lässt, wie sich die Botschaft von Jesus Christus verbreitet hat, wie die christliche Gemeinde größer wurde – durch persönlichen Kontakt, Gespräche und Überzeugungen. Ganz einfach – ohne Kirchen, ohne Pfarrerinnen und Pfarrer, ohne Landeskirchenamt, ohne Presbyterwahlordnung oder Kirchengesetze. Einfach so. Heute aber sieht unsere Welt anders aus. Und wir werden kaum jemandem begegnen, der im Jesajabuch liest und uns dann nach unserer Meinung fragt. Und doch kommen auch heute immer noch Menschen neu in die Gemeinde. Sie haben diese Gemeinde erlebt und sie wurden von Gott angerührt. Nicht wir waren es, die sie bezirzt haben, wieder einzutreten, sondern Gott – vielleicht durch uns. Welch ein Glück, dass wir neue Gemeindeglieder aus vollem Herzen begrüßen können.
Und täglich begegnen uns noch mehr Menschen. Menschen, die uns immer wieder Fragen stellen. Aber manchmal muss man genau zuhören, um sie zu hören. Denn sie verstecken sich in Sätzen, Gesten und im Verhalten – ohne deutlich ausgesprochen zu werden. Und doch höre ich sie – diese Fragen. Und ich sehe sie: Ein müdes Gesicht, hinter dem sich die Anstrengung der Pflege eines älteren Menschen verbirgt. Ein nervöses Verhalten, das durch den Kampf mit Alkohol geprägt ist. Ein sich Zurückziehen in die Einsamkeit, weil man sich so alleine fühlt.
Und manchmal auch Aussagen, die eigentlich Fragen sind: „Ich habe Angst, die Achtung vor meinem Mann zu verlieren.“ „Ich kann nicht mehr.“ „Drei Kinder sind schon manchmal zuviel Arbeit.“
Und wenn wir ehrlich sind, fällt es uns selber auch nicht leicht, Fragen zu stellen. Denn, indem wir Fragen stellen, zeigen wir uns verletzlich. Weil wir nicht alles wissen – weil wir nicht alles können – weil wir nicht genug Kraft haben. Aber die Fragen sind da und insgeheim hoffen wir, sie beantwortet zu bekommen.
Und dann braucht es Menschen, die mitgehen. Es braucht ein wachsames Ohr, ein offenes Herz, eine liebevolle Seele. Und die braucht es nicht nur vom Pfarrer. Sondern, die braucht es von allen von uns. Als Nachbarn, als Arbeitskollegin, als Bekannter, als Mitglied im Schützenzug. Verkündigung der Liebe Gottes braucht es von jedem und jeder hier in der Kirche. Also auch von ihnen und euch.
Der hat gut reden. Der hat doch auch Theologie studiert. Der bekommt doch auch Geld dafür, dass er von Gott erzählt. Stimmt. Aber man muss gar nicht Theologie studiert haben oder gut reden können. Es reicht einfach da zu sein, offen, wachsam und liebevoll. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Gottes Anspruch an uns alle.
Philippus hörte dem Kämmerer zu und er verließ ihn wieder. Der Kämmerer brauchte den Weggefährten nicht mehr. Von jetzt an konnte er seinen Glaubensweg allein weiter gehen. Wobei das natürlich nicht stimmt, dass er ihn allein gehen müsste. Denn er hat einen anderen Gefährten gewonnen. Einen, der überall dabei ist, der ihn auf undeutlichen Wegen führen und schützen will. Mit der Taufe besiegelt dieser andere Weggefährte seinen Willen. Mit der Taufe sagt Gott einem Menschen, dass er ihn auf seinem Lebens- und Glaubensweg begleiten wird, wo auch immer dieser Weg ihn hinführen mag. Auch über Felsen hinweg und durch Nebel hindurch.
Lassen Sie uns noch einen Perspektivwechsel machen. Sehen wir doch einmal mit den Augen des äthiopischen Kämmerers die Situation. So wie er Gott ihn begleitet hat durch die Person des Philippus, so begleitet Gott auch uns, indem er uns Menschen schickt, die uns zu Weggefährten werden. Oft wissen die gar nichts von ihrer Aufgabe. Gott schickt uns Menschen, von denen wir nicht ahnen, dass sie in seinem Auftrag kommen. Manchmal sind es genau die, mit denen wir am allerwenigsten gerechnet hätten. Und oft erkennen wir erst viel später, das Gott seine Hände im Spiel gehabt hat.
Und ein drittes: Weggenossenschaft ist ein beidseitiges Geschehen. Beide werden, wenn sie wieder auseinandergehen, gewonnen haben. Ganz sicher werden durch die Fragen und Unklarheiten des einen auch die Einsichten und Klarheiten des anderen tiefer und schärfer. Und manches, was vorher klar und deutlich schien, wird noch einmal zu prüfen sein. Ich bin sicher, dass auch Philippus etwas mitgenommen hat aus dieser Reisebekanntschaft mit dem Kämmerer aus Äthiopien, dass auch er manches von seinem Glauben neu verstanden hat. Sie sind einander zu Weggefährten geworden.
Leben miteinander, gemeinsam auf dem Weg zu sein. Sich vertrauen und auch wieder loslassen. Alles dies bedeutet auch christliches Leben. Lassen sie auch uns in unserer Gemeinde einander Weggefährten werden, von Gott dazu die Kraft und den Mut erbitten und so seinen Willen tun. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus Amen.
Der Brief des römischen Hauptmanns (Rudolf Hagelstange)
Der Brief des Hauptmanns Gajus Septimus an seinen ältesten Sohn, datiert am Vorabend des Passahfestes in Jerusalem, hat folgenden Wortlaut:... Ich habe Euch einen wichtigen Entschluss mitzuteilen, zu dessen Erläuterung ich ausführlicher werden muss, als es in meiner Art liegt. Zugleich wird dieses Schreiben einen Rat enthalten, den ich Dir zugedacht habe. Aber von beiden später. Ich erhielt gestern den Auftrag, mit meinen Legionären die Kreuzigung von drei Verbrechern durchzuführen, die der Spruch unseres Landpflegers für des Todes würdig erachtet hatte. Du weißt, daß Judäa ein sogenanntes Protektorat ist und die letzten Vollmachten und Entscheidungen in römischen Händen liegen. Es war das dritte Mal innerhalb meines zweijährigen Aufenthaltes hier, daß ich zu einer so wenig erfreulichen Diensthandlung bestimmt wurde. Aber sowohl die Umstände wie die Person des einen Verurteilten werden mir diesen Dienstakt bis an mein Lebensende im Gedächtnis erhalten.
Ich will Dich nicht mit der Vorgeschichte aufhalten, um so weniger, als ich sie vorwiegend nur von Gerüchten und Erzählungen anderer kenne und nur zum geringsten Teil aus eigener Anschauung. Wir sind Fremde hier, und die Sitten und Gesetze dieses merkwürdigen Volkes werden uns immer unverständlich bleiben. Das liegt in der Natur der Sache. Der eine der drei Verurteilten - zwei waren eindeutige Schwerverbrecher - war, wie manche sagen, das Opfer eines Justizverbrechens. Er war der Gotteslästerung angeklagt, und um die Anerkennung des jüdischen Spruches durch Pilatus zu erreichen, hatten die herrschenden Cliquen eine Volkserhebung inszeniert und alle Mittel der Beeinflussung, Nötigung und Verführung aufgeboten, die sich als notwendig erwiesen, um die Anerkennung des Urteils durchzusetzen. Nach einem turbulenten, an Aufzügen, Lärm und Unruhe reichen Tage war die Sache bestätigt. Mit den beiden anderen Verurteilten wurde mir der Umstrittene zur Exekution übergeben. Er hörte auf den Namen Jesus und stammt aus irgendeiner der jüdischen Provinzen. Er war schmächtig von Gestalt und schien durch Misshandlungen und eine Geißelung auf eine Art gekennzeichnet, die einem Manne von Ehre und Empfinden widerwillig sein musste. Aber nicht dies war das Bemerkenswerte an ihm, sondern die unnachahmliche Ergebenheit, mit der er sein Schicksal ertrug.
Die Verurteilten haben ihr Kreuz selbst zu tragen. Aber ich sah sofort, als wir uns formierten, daß er dazu nicht fähig sein würde. Trotzdem nahm er es auf und trug es ein beträchtliches Stück auf dem Weg zur Richtstätte. Er brach einige Male zusammen, aber immer wieder raffte er sich auf. Ich will mir versagen, von jenem Schauspiel zu sprechen, das die Augenzeugen eines solchen Zuges geben und das von zynischer Rohheit bis zum tiefsten Mitleid alle Skalen menschlicher Reaktion durchläuft. Ich will Dir nur verraten, daß Dein Vater seine geringe Ehre darein setzte, ihn vor jedem schimpflichen Zugriff zu schützen und jedes Zeichen der Teilnahme an ihn heranzulassen. Und als ich seine Kräfte mehr und mehr schwinden sah, hielt ich Ausschau nach jemandem, der ihm das Henkersgerüst abnehmen könnte.
Genug der Beschreibung! Er wurde mit den anderen um die sechste Stunde gekreuzigt. Meine Soldaten würfelten um seine Kleider. Die Kinder des Lebens bestehlen die Kinder des Todes. Es wird immer so bleiben. Drei Stunden sah ich ihn hängen, zwischen den beiden, denen das Verbrechen auf der Stirn stand. Ich sah nur ihn. Ich habe Schlachten mitgekämpft und Siege gefeiert. Ich habe Auszeichnungen empfangen und Vorbeimärsche erlebt. Ich bin elfmal verwundet worden. Alles, was meinem Dasein Freude, Ehre und Sinn gegeben hat, ist gering geworden vor diesem Tage, vor diesem waffenlosen Tod, der ein Sieg war.
Vielleicht wird Dir dies alles wenig sagen und bedeuten, und vielleicht hat meine Sprache keine Überzeugungskraft. Es sind zwei Dinge, ob man vom Tode eines Menschen sagen hört, oder ob man ihm vor seinem letzten Seufzer mit einem Essigschwamm die Lippen netzte. Aber mich hat es getroffen, und ich sage Dir zweierlei: Die Zeiten des Ruhmes und der Ehre sind für einen Offizier des römischen Heeres abgelaufen, wenn er zum Henker am schuldlosen Angehörigen eines anderen Volkes bestellt wird. Das Blut eines Wehrlosen macht unsere Waffen rosten, und der Rost wird sie zerfressen. Es ist besser, sie aus der Hand zu legen und ohne sie zu leben, als sie befleckt zu tragen. Ich werde meinen Dienstvertrag nicht erneuern, obwohl mir Beförderung und ehrenvolle Verwendung für diesen Sommer angekündigt sind. Ich glaube, wir stehen an einer Wende der Zeit, und es tut not, das Alte zu überprüfen. Rein äußerlich geht eines unmerklich in das andere über - aber der Geist muss dessen innewerden. Das Schwert, das ich heute Morgen die Hand nahm, hatte die Form eines Kreuzes, solange ich es trug. Aber erst heute erkenne ich darin einen neuen Sinn. Bedenke alles und sei meiner Fürsorge gewiss - Dein Vater.
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause