Predigt an Ewigkeitssonntag über Johannes 8,12
(23.11.2025; Auferstehungskirche, Thema: Jesus, das Licht der Welt)
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde!
Wir sind heute in Gedanken und mit dem Herzen bei den Menschen, von denen wir in den letzten 12 Monaten haben Abschied nehmen müssen. Wenn wir die Augen schließen, dann sehen wir sie vor uns – mit ihrer Art, ihrem Lächeln. Wir erinnern uns an das Leben mit ihnen. Wir sehen noch einmal die Wege, die wir gemeinsam mit ihnen gegangen sind. Wir empfinden noch einmal die guten und die schweren Zeiten nach. Wir denken daran, wie es war, sie das letzte Mal zu sehen. Noch einmal tauchen die Erinnerungen an Momente des Abschieds in uns auf.
Für einige war es ein friedvoller Abschied in dem Bewusstsein, dass sich ihr Leben erfüllt hat. Für andere war es der jähe Abbruch eines gemeinsamen Lebens, der zunächst nur Leere und Schmerz hinterlassen hat. Und auch da, wo es ein langes vorhersehbares Sterben war, wo Pflege die Angehörigen viel Kraft gekostet hat und der Tod als Erlösung kam, auch da ist jetzt eine Lücke. Und es braucht Kraft und Zeit, sich in der Gegenwart und Zukunft neu zurecht zu finden. Wir mussten Abschied nehmen von Lebensentwürfen, von Plänen und Hoffnungen. Vieles kam anders als wir es und erhofft und erbeten hatten.
Und wir haben auch die Erfahrung gemacht, wie begrenzt unsere Macht ist: Wir standen hilflos neben Menschen, die uns am Herzen lagen. Und manchmal hatten wir das Gefühl, so wenig für sie tun zu können und der flehende Wunsch war in uns: Bitte, Herr, lass ein Wunder geschehen, lass mich doch irgendwie helfen können!
Für manche ist der Abschied schon fast ein Jahr her. Die Wunden des Schmerzes sind schon verheilt. Manchmal durfte sich der Schmerz in Dankbarkeit verwandeln. Für andere ist der Abschied noch sehr nahe, der Schmerz sehr präsent. Manch eine und manch einer ist in Gedanken auch bei Menschen, die schon vor längerer Zeit verstorben sind.
Die Abschiede, vor die wir gestellt waren, waren sehr unterschiedlich. Wie verschieden waren doch diese Wege des Lebens. Und so waren auch unsere Wege des Abschieds unterschiedlich.
Was uns aber alle eint ist die Erfahrung, dass das Leben ärmer einsamer geworden ist. Was uns eint, ist die Erfahrung von Dunkelheit mitten im Leben. Was uns eint, ist eine Traurigkeit, die unser Herz berührt. Wir suchen nach einer Gemeinschaft, die trägt, uns mit hineinnimmt. Wir suchen nach Licht für unseren Weg des Lebens. Wir suchen nach Trost.
Hören wir auf Worte des Johannes-Evangeliums:
Jesus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern das Licht des Lebens haben.
Es sind wunderschöne Sätze, die Johannes hier von Jesus überliefert. Sie reden vom Licht und von der Nachfolge und vom Leben. Sie strahlen Geborgenheit aus, Helligkeit und Wärme.
Ich schließe noch einmal die Augen und erinnere mich an die Wege des Abschieds der vergangenen Monate. Ich erinnere mich an Situationen, Orte, Geräusche, Gefühle, Gerüche. Vor meine Augen kommt neben dem Schweren und Dunklen auch Spuren von Licht.
Wir haben neben den schlimmen Erfahrungen auch erleben dürfen, wie das Licht, von dem Jesus Christus spricht schon in die Dunkelheit der Krankheit und des Todes hineingestrahlt hat:
Ich erinnere mich an Sterbende, die ihren letzten Weg mit einer großen inneren Ruhe und Gelassenheit gegangen sind. Und dabei fühlten sie sich geborgen und getragen. Sie waren erfüllt von dem Glauben, dass Gott auf sie wartet. Sie vertrauten jetzt schon auf sie eine Wohnung im Himmel. Sie waren erfüllt von der Hoffnung, dass liebe Menschen auf sie warten. Sie waren in ihrem Glauben und mit ihrer Ruhe ein Vorbild für uns. Sie waren Menschen, die von der Liebe Gottes angestrahlt wurden. Und durch dieses Licht der Liebe wurden sie hell, gaben ein Stück des Lichtes wieder. Und so wurden manche von ihnen auch für uns, die wir sie begleitet haben zum Licht und zu Trost.
Ich erinnere mich an Pflegende, die mit ihrer Arbeit und ihrem Sein einen Lichtstrahl hineingebracht haben in das Dunkel: Auf der Palliativstation, im Heinrich-Grüber-Haus, im Theresienheim und an vielen anderen Orten. Pfleger und Pflegerinnen, die getröstet haben, in den Arm nahmen, massiert haben, nachgeschaut haben, die verstanden haben, was Menschen wirklich brauchen. Pflegende, die einfach still zugehört haben, und gespürt haben, was in den Sterbenden geschieht. Pflegende mit einer großen Zärtlichkeit, Kompetenz und einem großen Herzen. Sie haben das Licht Gottes weitergegeben, weil sie selber vom Licht Gottes erfüllt waren.
Ich erinnere mich an Angehörige, die Lichtquelle für die Sterbenden waren. Ehemänner und Ehefrauen, Mütter und Väter, Söhne und Töchter, viele andere liebevolle Menschen, Nachbarn, Freunde, und, und, und. Menschen, die einfach da waren und versucht haben, Mut zu machen, obwohl ihnen selbst das Herz schwer war. Menschen, die ihre eigenen Dinge und Wichtigkeiten hintenangestellt haben, weil sie gemerkt haben: Jetzt ist ein anderer, eine andere wichtig. Hände, die gepflegt, gewaschen, gestreichelt haben – die sich mit Krankenhäusern und Krankenkassen herumgeschlagen haben. Menschen, die sich einfach Zeit genommen haben, um da zu sein. Auch durch sie hindurch ist ein Lichtstrahl Gottes in die Welt gekommen.
Wer vom Licht der Liebe Gottes angestrahlt wird, der wird selber hell und zum Licht für andere.
Neben dem Licht aber steht viel Dunkelheit. Ich sehe auch die, die schwer gestorben sind, die mit dem Tod und mit Gott gerungen haben. Ich sehe auch die, die enttäuscht gestorben sind, desillusioniert vom Leben und vom Sterben. Ich sehe die, die einsam gewesen und geblieben sind.
Ich sehe auch die Pflegenden, die zermürbt und ausgebrannt sind. Ich sehe ihr Leid an dem Sterben und Leiden – sehe, wie auch ihre Seele in Mitleidenschaft gezogen wird. Ich sehe die unmenschlichen Bedingungen in unseren Krankenhäusern und Altenheimen, sehe die Belastungen, denen die Pflegenden ausgesetzt sind.
Ich sehe wie erschöpft manche Angehörige sind. Sie haben alle ihre Kraft gegeben und wissen nun nicht mehr weiter. Ich sehe die, die eine große Aufgabe verloren haben und nun nicht mehr weiterwissen. Ich sehe diejenigen, die in der Begleitung von Sterbenden die Erfahrung machen mussten, alleine gelassen zu werden. Ich sehe Geschwister, Kinder, die ihre Verantwortung nicht wahrgenommen haben, Familien, die kaputt sind.
Neben den Lichtstrahlen Gottes in unserer Welt sind dies die Dunkelheiten, die auf Menschen lasten, ihnen das Leben schwer machen.
Wenn ich aber den Eindruck habe, dass in meinem Leben die Dunkelheit vorherrscht – wenn ich den Wunsch habe, das Licht der Liebe Gottes auch in meinem eben zu sehen – wenn ich nicht mehr weiterweiß, was dann? Wenn ich einfach keine Kraft mehr habe, etwas für mich zu tun? Was, wenn ich es verlernt habe, mich selber überhaupt zu spüren?
Ich muss an ein Lied denken, das mir in der letzten Zeit oft durch den Kopf geht. Wir haben es auch schon hier im Gottesdienst gesungen. In dem Lied heißt es:
„Herr, ich komme zu dir und ich steh vor dir so wie ich bin. Alles, was mich bewegt lege ich vor dich hin. Herr, ich komme zu dir und ich schütte mein Herz bei dir aus.“
Ich muss bei Gott nicht so tun als ginge es mir gut, wenn es dunkel ist in mir. Ich muss bei Gott nicht so tun als ob ich stark sei, wenn mir elend ist. Ich kann einfach so sein, wie ich in diesem Moment bin: Stark oder schwach. Völlig erschöpft oder voller Kraft, getröstet oder extrem wütend, enttäuscht oder geborgen, einsam oder getragen.
Seid doch einfach so, wie ihr seid. Ihr braucht Gott nichts vorzumachen. Und wenn nur noch Leere da ist, dann legt sie vor Gott.
„Herr, ich komme zu dir und ich steh vor dir so wie ich bin. Alles, was mich bewegt lege ich vor dich hin. Herr, ich komme zu dir und ich schütte mein Herz bei dir aus.“
Vor Gott zu treten und alles in seine Hände zu legen, das mag für manche von uns eine liebgewordene Tradition sein. Für andere ist alleine der Gedanke daran noch Neuland und fremd.
Gleich werden jede und jeden Verstorbenen noch einmal mit Namen nennen, die in den vergangenen 12 Monaten verstorben sind. Wir werden für alle eine Kerze anzünden. Mit denen, die verstorben sind, sind wir weiterhin durch Gottes Liebe verbunden. Sie gilt uns den Lebenden und gilt über den Tod hinaus. Das kleine Licht der Kerze ist ein Symbol für das Licht in der Ewigkeit. In diesem Licht leben nun die, die vor uns gegangen sind.
Und wenn Sie gleich eine Kerze anzünden und hier vorne hinstellen, dann lade ich Sie ein, dabei innerlich leise oder auch laut die Worte zu sprechen oder zu denken: „Herr, ich komme zu dir und ich steh vor dir so wie ich bin. Alles, was mich bewegt lege ich vor dich hin. Herr, ich komme zu dir und ich schütte mein Herz bei dir aus.“ Ich bin ganz gewiss, dass Gott Sie und dich hört. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus Amen.