Predigt am 4.Advent über Lukas 1,39-56
(22.12.2024, Auferstehungskirche)
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde!
Übermorgen ist Heiligabend. Je nach Charakter und Veranlagung haben die einen ihre Weihnachtsvorbereitungen schon fast abgeschlossen, während sich die anderen jetzt für den Last-Minute-Trubel in den Weihnachtsbaumplantagen, Supermärkten auf der grünen Wiese und den Parfüm- und Schmuckabteilungen der Innenstadt-Kaufhäuser wappnen. Weihnachten steht vor der Tür. Aber sind Sie schon in Weihnachtsstimmung?
"Mit Dekorationen fürs Haus, mit den himmlischsten Torten und Plätzchen und den köstlichsten Menüs holen auch Sie sich die Weihnachtsstimmung in Ihr Haus", so oder so ähnlich kann man es in diesen Tagen in den Lifestyle-Illustrierten beim Warten an der Supermarktkasse lesen. Als wenn es so einfach wäre! Denn wie schnell hole ich mir mit den emsigen Weihnachtsvorbereitungen auch Stress und Hektik, Überforderung und Enttäuschung ins Haus. Denn noch zerbrechlicher als die gläsernen Christbaumkugeln, die die Weihnachtsstimmung in die gute Stube holen sollen, ist doch die Feststimmung selbst. Das in stundenlanger Arbeit vorbereitete Weihnachtsmenü misslingt, weil der Festtagsbraten zu lange geschmort hat. Unterm Weihnachtsbaum liegen wie jedes Jahr Socken und Krawattennadel für den Herrn des Hauses, während die Frau des Hauses sich über ein neues Küchengerät ärgert. Die Schwiegermutter lässt auch zum Fest der Liebe das Sticheln nicht, und der halbwüchsige Sohn hat überhaupt keinen Bock auf den traditionellen Kirchgang. So schnell ist die schöne Stimmung im Eimer. Kein Wunder - ist ihre Oberfläche doch oft genauso zerbrechlich wie der in manchen Familien mühsam nur zum Fest erreichte Friede, die aufgesetzte Harmonie, die alten Traditionen rund ums Fest, die wie dünnes Eis geworden sind, weil sie nur noch dazu da sind, Stimmung zu machen.
Alle Jahre wieder - wie stellt sich die rechte Weihnachtsstimmung ein? "Alle Jahre wieder" - so klingt es seit Mitte November schon fröhlich aus den Lautsprechern auf Märkten, in Geschäften und im Radio. "Stille Nacht, heilige Nacht", "Kling Glöckchen, Klingelingeling", aber auch "Last Christmas", "Jingle Bells", "Rudolph, the red-nosed Reindeer". Mit gefühligen Melodien und rührseligen Texten wird Stimmung gemacht. Menschen werden scharenweise angelockt, sich in den vorweihnachtlichen Einkaufstrubel zu werfen.
Ja, zur rechten Weihnachtsstimmung gehören auch Advents- und Weihnachtslieder. Wir bewegen uns in einer Zeit voller Musik, voller Lieder. Aber viele singen nicht mehr selbst. Die Musik dieser vorweihnachtlichen Zeit wird genauso konsumiert wie all die anderen Dinge, die in die rechte Stimmung bringen sollen. Lieder werden zu Konsumprodukten, aber es sind selten unsere eigenen Lieder. Welche tieferen Empfindungen verbinden sich denn eigentlich noch mit diesen Klängen?
Eine ganz andere Stimmung verbreitet das Lied, das eine junge Frau anstimmt, um sich in die rechte Freude hinein zu singen. Dabei mag ihr anfangs wahrscheinlich überhaupt nicht nach Singen zumute gewesen sein. Gerade erst hatte der Engel Gottes ihr verkündet, dass sie schwanger sei. Kein Grund zum Jubel, sondern in ihrer Situation wohl ein Grund zum Fürchten. Keine alleinerziehende Mutter hat es leicht, bis heute nicht. Wie viel schwieriger dürfte das damals gewesen sein. Mit Josef ist sie verlobt - er könnte sie jedoch angesichts dieser Nachricht verstoßen. Ändern aber kann sie nichts. Also fügt sich Maria in ihr Schicksal: "Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast." Von weihnachtlichem Jubel ist in diesem "Sich-Fügen" noch keine Spur. Dazu braucht es noch eine zweite Begegnung, von der uns Lukas in seiner Vorweihnachtsgeschichte im ersten Kapitel seines Evangeliums erzählt:
Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! Und wie geschieht mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn.
Auch der Engel hatte sie so gegrüßt wie jetzt Elisabet, ihre Cousine: "Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir." Damals, in ihrem stillen Kämmerlein, hatte sie sich noch erschrocken über diesen Gruß. Viel zu groß schien ihr das Gewand einer Gottesmutter.
Aber jetzt kann Maria anfangen, sich über ihre Schwangerschaft zu freuen. Bei Elisabet angekommen, grüßt zunächst Maria die ältere Frau, die sie besuchen möchte. Der eigentliche Gruß zurück findet im Verborgenen statt. "Und es begab sich, als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe." Der Geist Gottes gibt Elisabet ein, diesen Gruß eines Ungeborenen an den anderen Ungeborenen zu verstehen. Jetzt jubelt erst einmal Elisabet: "Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes!" Und sie spürt im eigenen Leib, dass diese Schwangerschaft auch ein Zeichen der Gnade für sie selbst ist. "Und wie geschieht mir das", fährt sie fort, "dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt. Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe." Und jetzt, als Antwort auf diesen zweiten Gruß, beginnt Maria zu verstehen, dass ihr tatsächlich Gnade und kein Unglück zuteilwurde. Und Maria beginnt zu singen. Sie stimmt ein Loblied an.
Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit. Und Maria blieb bei ihr etwa drei Monate; danach kehrte sie wieder heim.
Maria singt sich hinein in die weihnachtliche Freude über ihr Kind. Sie singt sich hinein in die jahrhundertealten Hoffnungen und Sehnsüchte ihres Volkes. Sie singt sich hinein in die alten Lieder werdender Mütter, mit denen Frauen in Israel die Geburt ihres ersten Kindes besangen. Sie singt sich hinein in die Freude der kinderlosen Hanna, die spät Mutter wurde. Sie singt sich hinein in die Freude Mirjams, Schwester des Mose, die die Freiheit der Israeliten von der ägyptischen Sklaverei feierte. Sie singt sich hinein in die alte Sprache der Psalmen und Propheten, sie singt von Vertrauen und Rettung, von Gerechtigkeit und Heil. Und während Maria so ihr Schicksal in Worte zu fassen versucht, verschmelzen Vergangenheit und Zukunft ihres Volkes mit ihrer ganz persönlichen Sehnsucht zu ihrem Lied, zu Marias Lied.
Maria singt an gegen allen Augenschein, und sie singt sich hinein in die neue Wirklichkeit, die Gott in ihrem Kind anbrechen lassen wird. "Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen", so singt Maria. "Er hat große Dinge an mir getan." Äußerlich bleibt sie, was sie ist: ein junges Mädchen aus einfachen Verhältnissen, schwanger mit einem unehelichen Kind, das unter schlimmsten Umständen in einem Stall zur Welt kommt. Aber indem sie singt, singt sie sich hinein in die Wirklichkeit Gottes, die ihr die Kraft gibt, ihren Weg anzunehmen und ihn zu gehen, voller Kraft und Liebe für dieses Kind, dessen Weg seiner Mutter noch sehr schwere Zeiten bereiten wird. Aber ihr Leben hat nun eine Bedeutung, die weit über ihr Leben hinausreicht.
Welches Lied singen wir heute und an Weihnachten? Wo berührt mich die Geburt Jesu? Bin ich eigentlich ein eher eigenbrötlerischer Mensch, den niemand so richtig gerne haben kann? Dann berührt mich vielleicht dass Jesus trotzdem wegen mir kommt.
Bin ich es gewohnt, dass ich Leistung erbringen muss, die bewertet wird, damit ich als richtig angesehen werde? Dann berührt es mich, dass Jesus gar keine Leistung von mir sehen will.
Bin ich eher ein einsamer Mensch, der oft alleine ist, obwohl er dies gar nicht will und lieber in Gemeinschaft wäre. Dann berührt es mich, dass Jesus meine Nähe sucht.
Bin ich auf der Suche nach einer guten Art des Lebens? Dann berührt es mich, dass Jesus mich finden will.
Bin ich tieftraurig und fühle mich im Dunkeln? Dann berührt ich das Licht, das von diesem Kind ausgeht.
Bin ich einfach nur erschöpft und müde, am Ende meiner Kraft? Dann berührt es mich, dass das Kind im Stall mir seine Hand eicht und sagt: Wir schaffen das gemeinsam.
Wo uns wie berührt das Kind im Stall meine Seele? Was bringt meine Seele zum Klingen und mich damit zum Singen?
Aufhören mag ich mit einer Geschichte, wo ein neugeborenes Kind zur Freude und zum Singen führt.
Die Geschichte heißt „der Ausflug“ und ist von Hans-Peter Richter: Die Kinder sahen das Taxi von Herrn Scharpe vor der Tür stehen und wunderten sich. „Warum steht er denn nicht am Bahnhof?" fragte Sigrid, „die Mittagszeit ist doch längst vorüber." Ralph schaute Sigrid geringschätzig an: „Weißt du das wirklich nicht? Herr Schärpe hat heute keinen Dienst. Scharpes bekommen doch ein Kind!" Jupp nickte: „Davon habe ich auch etwas gehört, das stimmt!" „Die werden sich freuen!" sagte Cornelia. „Die haben sich doch schon immer eins gewünscht."
Plötzlich öffnete sich die Haustür. Heraus stürzte Herr Schärpe. Er lief auf den Wagen zu. Aber noch bevor er die Kinder erreicht hatte, flitzten alle auseinander. Nur Jupp und Cornelia erwischte er bei Jacke und Haar.
Jupp duckte sich, um eine Ohrfeige abzufangen. Cornelia hielt ihr Geld fest.
Herr Schärpe fasste beide im Genick und begann mit ihnen — zu tanzen. Jupp und Cornelia machten ein dummes Gesicht und tanzten mit, weil Herr Schärpe sie festhielt.
Herr Schärpe aber lachte und rief während er herumsprang, immer wieder: „Ich hab' ein Mädchen! Ich hab' ein Mädchen!" Als die Davongelaufenen begriffen hatten, was geschehen war, kamen sie vorsichtig näher. Ein Kind nach dem anderen reihte sich ein, und schließlich tanzten neun Kinder mit einem erwachsenen Mann mitten auf der Straße Ringelreihen. Und alle sangen miteinander nur immer das eine: „Ich hab' ein Mädchen! Ich hab' ein Mädchen!" Rundum wurden die Fenster aufgemacht. Von überall schauten die Leute dem Tanz zu. Bald klatschten sie im Takt mit und riefen: „Herzlichen Glückwunsch, Herr Schärpe, und schöne Grüße an Ihre Frau!" Nur der alte Junggeselle, der vorhin mit Cornelia geschimpft hatte, riss sein Fenster auf, schrie „Ruhe" und schlug das Fenster wütend zu.
Der Tanz hörte erst auf, als Herr Schärpe keinen Atem mehr hatte. Nun setzte er sich selber auf den Kotflügel seines Wagens und japste nach Luft. Plötzlich sprang er hoch und rief: „Wisst ihr was, Kinder? Ich lade euch ein!"
Ralph und Cornelia, Sigrid und Jupp redeten plötzlich durcheinander. Aufgeregt liefen sie alle hin und her, während Herr Schärpe den Wagen aufschloss.
Niemand fragte nach dem Ziel, als Herr Schärpe ein Kind nach dem anderen in den Wagen schob, zuletzt Cornelia. Es war ein großer Wagen mit roten Lederpolstern, aber für neun Kinder und einen Erwachsenen war er doch ein wenig eng. Die hinteren Sitze waren für drei berechnet, aber von sieben besetzt. Jupp lag zuunterst. Aber als die Fenster alle heruntergedreht waren, ließ es sich im Wagen ertragen. Herr Schärpe setzte sich ans Lenkrad und fuhr los. Nach der Ecke begann Herr Schärpe sogar zu singen: „Hab' mei Wage voll gelade...", und alle Kinder sangen mit. Die Musik zum Lied machte Herr Schärpe mit der Hupe. Er schlug im Takt mit der Faust darauf.
Alle Leute schauten sich nach dem verrückten Fahrzeug um. So kamen sie bis zum Markt. Dort stand ein Schutzmann. Er hielt den Wagen sofort an.
Herr Schärpe fuhr vorschriftsmäßig an den Bordstein und wartete auf den Schutzmann. Der rief schon von weitem: „Sie sind es, Herr Scharpe! Sagen Sie, sind Sie übergeschnappt?" „Beinahe, Herr Wachtmeister, beinahe!" rief Herr Scharpe zurück. Der Wachtmeister trat an die Tür. „Was machen Sie für einen Krach, Herr Scharpe?" fragte er.
Herr Scharpe steckte Arm und Kopf aus dem Fenster. Er schlug dem Schutzmann auf die Schulter, daß dem die Beine einknickten und er auf dem Trittbrett des Wagens kniete.
Und Herr Scharpe sagte: „Stellen Sie sich vor, Herr Wachtmeister, stellen Sie sich vor: Ich habe ein kleines Mädchen gekriegt!" Noch ganz verdattert schaute der knieende Schutzmann durch das Wagenfenster. „Ich gratuliere, Herr Scharpe!" sagte er. „Aber was tun die vielen Kinder in Ihrem Wagen?"
„Die habe ich eingeladen", antwortete Herr Schärpe. „Wir fahren ins Hexenhaus! Feiern!"
Der Schutzmann richtete sich wieder auf. Er klopfte sich den Staub von den Knien. Dann sagte er: „Das Hupen will ich diesmal nicht gehört haben. Viel Vergnügen! Und fahren Sie vorsichtig; denken Sie an die Kinder im Wagen." Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Es gibt eine Seite mit den alten Losungsandachten:
https://evangelisch-neuss-sued.de/gottesdienste/beten-zuhause