Predigt am 1.Advent über Römerbrief 13, 8-14
(30.11.2025; Auferstehungskirche, Thema: Neuanfang durch die Liebe Gottes)
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde!
Bleibt niemand etwas schuldig – außer der Schuld, die ihr niemals abtragen könnt: der Liebe, die ihr einander erweisen sollt. Wer den Mitmenschen liebt, hat alles getan, was das Gesetz fordert. Ihr kennt die Gebote: »Brich nicht die Ehe, morde nicht, beraube niemand, blicke nicht begehrlich auf das, was anderen gehört.« Diese Gebote und alle anderen sind in dem einen Satz zusammengefasst: »Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst.« Wer liebt, fügt seinem Mitmenschen nichts Böses zu. Also wird durch die Liebe das ganze Gesetz erfüllt.
Macht Ernst damit – und das erst recht, weil ihr wisst, was die Stunde geschlagen hat! Es ist Zeit für euch, aus dem Schlaf aufzuwachen. Denn unsere endgültige Rettung ist nahe; sie ist uns jetzt näher als damals, als wir zum Glauben kamen. Die Nacht geht zu Ende, bald ist es Tag. Deshalb wollen wir alles ablegen, was zur Finsternis gehört, und wollen uns mit den Waffen des Lichtes rüsten.
Ein spannender Text aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom. Auf der einen Seite hochaktuell, auf der anderen Seite völlig überholt, eine andere Vorstellung damals als heute.
Das, was überholt ist, ist die Erwartung des Paulus, dass Christus bald auf diese Erde kommt und dass damit das gute Ende aller Zeiten anbrechen wird. Damals war diese Vorstellung sehr lebendig. In der Bibel finden sich sogar Diskussionen darüber, was mit denen geschieht, die in der kurzen Zwischenzeit bis zur Wiederkunft Christi versterben. Selbst bei Jesus blinzelt diese Vorstellung durch, dass bald die Welt eine andere, eine erlöste sein wird. Nun vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag, auf jeden Fall steht die Erde auch 2000 Jahre nach dem Brief des Paulus noch und sie ist noch nicht erlöst.
Der erste Teil der Botschaft aber ist aktueller als nie. Immer mehr Brandherde existieren auf dieser im Moment so unruhigen Welt. Und wir alle haben die schlimmen Bilder und Nachrichten aus der Ukraine, Hongkong, Gaza, Israel vor Augen. Wahrlich diese Welt ist so voller Unfrieden, voller Gewalt und Hass, so sehr, dass ich mich oft erschrecke und mich frage: Wie soll das alles weitergehen? Oder eher noch: Wo soll das alles enden?
Ich glaube nicht daran, dass die Welt vor 2000 Jahren besser war. Auch damals wird sie voller Hass, Gewalt und Krieg gewesen sein. Die Geschichte lehrt uns, dass Friedenszeiten äußerst rare Zeiten waren. Also hat sich denn gar nichts geändert? Ist alles gleich geblieben? Wird immer alles gleich bleiben?
Meine erste Antwort: Es hat sich nichts geändert! Meine zweite Antwort: Es hat sich alles grundlegend geändert.
Ja, es wird immer Krieg geben, immer Gewalt, immer auch Hass. Nach dem IS, nach Boko Haram, nach Al Kaida, nach den Taliban werden irgendwo wieder Menschen zu Attentätern zu Terroristen werden. Schon die Bibel wusste, dass der Mensch des Menschen schlimmsten Feind ist.
Und doch ist alles ganz anders geworden. Denn die Liebe ist auf die Welt gekommen – die Liebe von der Paulus spricht. Eine Liebe, die so groß ist, dass sie alle Gewalt, allen Hass und alle Kriege klein werden lässt, weil sie selber ohne Grenzen ist. Es ist Gottes Liebe, die auf diese unsere Welt gekommen ist. Jesus von Nazareth ist Gottes fleischgewordene Liebe für diese Welt. Diese Liebe wird deswegen so groß, weil sie nicht noch größer und noch gewaltiger auftritt als alles andere in der Welt. Sie wird so groß, weil sie sich selbst klein macht, selbst zum Opfer wird, selbst Qual erleidet, selbst getötet wird. Das Kind im Stall, der Prediger Jesus von Nazareth, der Geschundene am Kreuz, der in das Grab gelegte und der Auferstandene – alle zusammen sind der greifbare Sieg der Liebe Gottes.
Diese Liebe verändert alles. Diese Liebe verändert Sie, dich und mich. Wer von Gottes Liebe angerührt wird, kann gar nicht der Gleiche bleiben wie vorher. Regeln und Gesetze müssen sein, aber in der Liebe so sagt Paulus ist alles schon mit erfüllt. Wer liebevoll lebt, geht weit über das hinaus, was Regeln und Gesetze fordern.
Machen wir es doch einmal ganz praktisch. Wenn wir die vielen Tausende Flüchtlinge sehen, die nach Deutschland gekommen sind und noch kommen werden, dann kann man schnell ratlos werden. Wie soll das alles funktionieren? Wie sollen sie alle versorgt werden? Woher soll das ganze Geld kommen? Und so gibt es unzählige weitere Fragen. Wenn wir aber mit der Liebe auf dieses Elend sehen, dann sehen wir ganz anders. Denn dann sehen wir die völlig zerstörten Städte in Syrien und im Gaza und sehen die Menschen, die schlicht das nackte Leben retten wollen. Und dann verstehen wir, warum so viele Menschen aus der Türkei hier Zuflucht suchen. Und dann wissen wir, dass es keine Alternative dazu gibt, diesen Menschen auf alle erdenklichen Arten zu helfen.
„Macht Ernst damit!“ sagt Paulus eindringlich. „Macht Ernst damit!“ Die Liebe verändert nicht nur ein kleines bisschen. Sie verändert ganz. „Seid als Christinnen und Christen erkennbar.“ Sagt Paulus den Frauen und Männern der Gemeinde in Rom. Und heute sagt er es zu uns in Weckhoven und Hoisten: „Macht Ernst damit!“ Christsein gibt es nicht nur ein bisschen. Das ist wie schwanger sein. Ein bisschen geht nicht. In der Taufe stirbt der alte Mensch und der neue kommt hervor. Neu durch die Erfahrung der Liebe Gottes.
Gott verbindet das auch mit einem Anspruch an uns. Seine Liebe will unsere Liebe sehen. Und wir als Kirche, als Gemeinde sind schlicht gefordert, nach der Liebe zu leben. „Macht Ernst damit!“ sagt Paulus eindringlich. „Macht Ernst mit der Liebe!“
Also lasst uns neu beginnen, wieder einmal. Es gibt dazu keinen besseren Zeitpunkt als heute am ersten Advent. Heute beginnt ein neues Kirchenjahr, eine gute Möglichkeit sich selber neu an der Liebe auszurichten. Heute zünden wir das erste Licht am Adventskranz an, ein erster kleiner Hinweis auf das Licht der Liebe.
Wenn nicht heute, wann dann können wir erkennen, wie viel Gott uns schenkt, damit wir Mut bekommen als Einzelne und auch als Gemeinde. „Macht Ernst damit!“ sagt Paulus eindringlich. „Macht Ernst damit!“.
Die Geschichte vom halben Brot
Als der alte Doktor gestorben war, gingen seine drei Söhne daran, den Nachlass zu ordnen, die schweren alten Möbel, die kostbaren Bilder und die vielen Bücher. In einem zierlichen Glasschrank hatte der Vater seine Erinnerungsstücke aufbewahrt: feine Gläser, altes Porzellan, Reiseandenken aller Art.
Im untersten Fach, hinten in der Ecke, fand sich ein merkwürdiger harter, grauer Klumpen. Als sie ihn bei Licht besahen, stellten sie fest: ein uraltes vertrocknetes Stück Brot. Wie kam das wohl unter all die Kostbarkeiten im Glasschrank?
Die Haushälterin erzählte: In den Hungerjahren am Ende des Weltkriegs war der Doktor sehr krank gewesen und dann vor Erschöpfung nicht wieder hochgekommen. Der Arztkollege hatte etwas von kräftiger Nahrung gemurmelt. Aber wo sollte die herkommen in dieser Zeit?
Da brachte ein Freund des Doktors ein Stück kräftiges Bauernbrot, das er selbst geschenkt bekommen hatte. Dem Doktor kamen die Tränen, als er es in den Händen hielt. Aber als der Freund gegangen war, wollte er es nicht essen, sondern schickte es der Familie ins Nachbarhaus, deren kleine Tochter krank lag: "Das junge Leben braucht es nötiger als ich alter Mann." Die Frau im Nachbarhaus aber trug das Stück Brot zu der alten Flüchtlingsfrau, die in der Dachkammer untergekommen und noch völlig fremd war. Die brachte es zu ihrer Tochter, die mit zwei kleinen Kindern in einem Keller hauste. Und die erinnerte sich an den Doktor, der ihre kranken Kinder zuvor unentgeltlich behandelt hatte und der nun selbst krank und erschöpft da lag.
Der Doktor erkannte das Brot sofort und war tief bewegt: "Wenn es das noch gibt, dass Menschen ihr letztes Stück Brot miteinander teilen, mache ich mir keine Sorgen um uns alle," sagte er. "Dieses Brot hat viele Menschen satt gemacht, ohne dass einer davon gegessen hat. Es ist ein heiliges Brot." - Wer weiß, wie oft der alte Doktor es später noch nachdenklich angeschaut und daraus Kraft und Hoffnung genommen hat in bedrückenden Tagen. Die Söhne spürten, dass ihnen der Vater in diesem alten Stück Brot näher war als in den teuren Möbeln und angesammelten Kunstschätzen. Hier hielten sie sein Vermächtnis in Händen, und das sollte bei ihnen bleiben als geheimnisvolle Kraft zum Leben. Sie teilten es sich zum Andenken an ihren Vater und an den, der einst das Brot der Liebe gebrochen hatte. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus Amen.