Ich bin ein Gast auf Erden. Psalm 119,19
Ein ganz kurzer Satz. Aber ein Satz, der es in sich hat. Er verweist uns noch einmal darauf, dass unsere Zeit auf der Erde begrenzt ist. Irgendwann einmal ist es Schluss. Der Tod steht am Ende jedes Lebens, egal wie groß oder klein es zuvor gewesen ist. So ist die Erde uns Heimat für eine gewisse Zeit, wie sie auch vorher Heimat für Milliarden von Menschen gewesen ist. Manch einem und einer treibt dies den Angstscheiß auf die Stirn. „Ich habe doch noch so viel vor, hoffentlich reicht meine Zeit!“ Und mancher Mensch hat Angst vor dem, was denn dann kommt. Nichts? Und dann? Dann bin ich weg!?
Der Lehrtext für den heutigen Tag hilft uns weiter. Dort heißt es: Denn wir wissen: Wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Diese Worte von Paulus aus dem 2. Korintherbrief spenden uns Trost und Zuversicht.
Nein, mit dem Tod ist längst nicht alles aus. Ganz im Gegenteil. Nach dem Tod kommen wir in unsere Heimat. Es ist der Ort, woher wir stammen. Wir sind Kinder Gottes, gezeugt von unseren Eltern. Wir kommen von Gott und wir gehen wieder zu ihm. Er ist unsere Heimat.
Dieser Glaube nimmt mir die Angst vor dem Tod. Ich glaube daran, bei Gott weiterzuleben. Und ich glaube daran, die Menschen wiederzusehen, die mich im Leben begleitet haben. Ich weiß nicht wie es sein wird. Aber ich hoffe fest darauf, dass es bei Gott einfach nur „himmlisch“ sein kann. Denn die Liebe Gottes kann ich jetzt schon spüren. Sie ist wunderschön. Wie wird es erst sein, wenn seine Liebe mich ganz umschließt?! Das aber macht mir Mut für jetzt, für den Augenblick, die Gegenwart. Ich muss nicht verzweifelt alles ins Leben hineinpressen aus Sorge, etwas zu verpassen. Auch nach meinem Tod geht es weiter.
Guter Vater!
Danke, dass es einen zweiten Teil gibt. Amen.
Dirk Thamm
Geschichte über die Zuversicht
Über Elsbeth kann man sich nur wundern. Elsbeth hat Krebs. Er sitzt tief in ihren Knochen. Frisst sich vom Rücken bis hoch in den Schädel. Aber die zierliche Frau mit dem schneeweißen Haar lässt sich davon nicht beirren. Sie hat ihm einen Platz in ihrem Körper eingeräumt. Soll er ruhig in ihr wohnen, der Krebs. Gott wird sich kümmern – daran glaubt sie fest.
Es riecht nach Gulasch in der Dachgeschosswohnung oberhalb von Herzhausen im Hessischen Hinterland. Montags kommen die Enkel zum Essen. Elsbeth Nispel kocht und versorgt, wie sie es immer getan hat. So gut es eben geht mit dem Krebs, der die Hälfte ihrer Energie raubt. Ja, sie hat Schmerzen, hauptsächlich im Rücken. Dann nimmt sie eben eine Tablette. Elsbeth sieht das nicht so eng. Was soll’s – sie sei schließlich 75 Jahre alt. Da könne ein Leben auch schon zu Ende sein. Auf ein paar Pillen werde es jetzt wohl nicht mehr ankommen, meint sie.
Das Gulasch ist fast fertig. Es muss jetzt köcheln. Elsbeth setzt sich an den Tisch und erzählt. Ihre wasserblauen Augen blicken wach. Ja, sie kennt den Ernst der Lage. Schließlich kommt der Krebs zum zweiten Mal. Vor neun Jahren nistete er sich in der Brust ein. Jetzt macht er sich in den Knochen breit. Angst, nein, Angst habe sie nicht.
„Ich muss mich über mich selbst wundern. Früher war ich sehr ängstlich“, sagt sie. „Ich habe mich an Situationen festgebissen. Heute kann ich loslassen“. Das komme wohl durch die Erfahrung. „Ich merke, dass ich getragen bin“, erklärt die Frau, die sich mit 14 Jahren für ein Leben mit Jesus entschieden hat. Das war 1956 bei einer Evangelisation in ihrem Heimatdorf. Damals hat sie Jesus gesagt, dass sie ihm vertrauen will. Heute spürt sie, dass da einer ist, der sie schützt.
Das ganze Dorf spricht über ihre Haltung in dieser Situation. „Über die Elsbeth kann man nur staunen. Wie die das alles schafft“, sagen die Leute. In vielen Stimmen liegt Bewunderung.
Vor neun Jahren wurde sie an der Brust operiert. Nachdem der Sohn umgezogen und die Konfirmation des Enkels vorbei waren. Solange musste Zeit sein. Die Familie ist für Elsbeth, die Kinder über alles liebt, nach wie vor das Allerwichtigste. Wichtiger als jeder Krebs.
Sie, ein Hasenfuß, wenn es nur um einen Zahnarztbesuch ging, war vor der Operation überhaupt nicht aufgeregt. Und wundert sich darüber. Damals hatte der Krebs fünf Millimeter vor dem sogenannten Wächterlymphknoten Halt gemacht. Der kleine, aber wichtige Teil des Immunsystems nahe am Tumor, blieb verschont und stoppte deshalb die Verbreitung der bösartigen Zellen. Nach den Bestrahlungen galt sie als gesund.
Das schöne Leben im Kreis der Familie ging weiter. Sieben Enkelkinder von drei Söhnen erlebten bei Oma Elsbeth herrliche Kindertage. Mit Häuschen bauen und Vorleserunden, Übernachtungen und jeder Menge Nutellabroten. Geschenkte Zeit für alle.
Jetzt ist der Krebs zurück. Für Elsbeth ist er eine Krankheit, die wohl zu ihrem Leben gehört. Damit gilt es umzugehen. Und immer, wenn es ihr nicht gut geht, betet sie: „Herr, ich befehle dir alles an. Du trägst mich.“
Vielleicht geschehe auch noch ein Wunder und der Krebs ziehe sich wieder zurück. Ihrem Gott traut Elsbeth alles zu. Seit dem vergangenen Jahr macht sie einiges mit. Zwei Wirbel sind gebrochen. Dann die Knochenbiopsie und all die elenden Bestrahlungen auf der harten Pritsche. Die haben den Hals und den Magen geschädigt.
Statt der geliebten Eisbecher und Salate lebt Elsbeth von Rührei und Rinderbrühe. Sie ist schmal geworden. Aber nicht trübsinnig. „Was wäre mein Leben, wenn ich mich zermürben würde – über Dinge, die ich nicht ändern kann?“ sagt sie und lacht. „Dann hätte ich ja keine Freude mehr.“
Ihr Mann ist dankbar für diese Einstellung. Gemeinsam haben sie dadurch eine gute Zeit, trotz unguter Umstände. Beide wissen: Die Krankheit kann zum Tod führen. Elsbeth sieht das ganz klar. Sie wird jetzt ihre Beerdigung vorbereiten. Lieder aussuchen, Bibelstellen, die ihr wichtig sind. „Dann ist mein Leben um“, sagt sie. Es klingt weder traurig noch klagend. Sondern schlicht wie eine Tatsache. Ein reiches Leben, in dem es ihr an nichts fehlte.
Auf den Tisch legt sich das Schweigen. Auf dem Herd köchelt das Gulasch. Gott wird sich kümmern.
Aus: Tina Fischbach-Nispel: Grenzsprung, Mut-mach-Geschichten fürs Leben; Norderstedt 2019